Streit um Mega-SolarfarmZwei Milliardäre schiessen das grösste Solarprojekt der Welt ab – vorerst
Ein 4200 Kilometer langes Unterwasserkabel soll Solarstrom von Australien nach Singapur liefern. Doch die beiden bekanntesten Investoren sind sich nicht mehr einig.

Es ist ein Projekt der Superlative, und es folgt einem einfachen Grundsatz: Warum nicht riesige Solarkraftwerke dort bauen, wo die Sonne fast immer scheint, und den Strom dann exportieren? So soll im Norden Australiens eine Anlage entstehen, die nicht nur die Stadt Darwin, sondern auch das ferne Singapur versorgen soll. Flächenmässig ist sie 24-mal grösser als das angedachte Schweizer Projekt bei Grengiols. Geplant sind im Northern Territory 120 Quadratkilometer voller Solarpanels mit einer Höchstleistung von 17 bis 20 Gigawatt sowie das weltweit grösste Batterienetzwerk.
Die gigantische Solarfarm soll pro Jahr 35 bis 40 Milliarden Kilowattstunden Strom produzieren und ab 2029 bis zu 15 Prozent von Singapurs Elektrizitätsbedarf decken. Das Vorhaben der Firma Sun Cable passt zur Strategie des vom Klimawandel bedrohten Stadtstaats. Dieser will bis 2050 klimaneutral werden. Bisher stammen 95 Prozent des Stroms im Land aus Gaskraftwerken.
Kabellänge macht Projekt «extrem ehrgeizig»
Geliefert werden soll der Strom über ein 4200 Kilometer langes Unterwasserkabel durch die indonesische Inselwelt. Die Kosten werden auf umgerechnet 22,5 Milliarden Franken beziffert.

«Zweifel gibt es immer, wenn etwas zum ersten Mal angefasst wird», sagte Kane Thornton, Chef des Rates für Saubere Energie in Australien, vor zwei Jahren. «Aber wenn einige der erfolgreichsten Geschäftsleute Australiens sich zu einer Investition entscheiden, könnte es sich lohnen, aufzuhorchen.»
Für den Plan der 2018 gegründeten Solarfirma Sun Cable liessen sich nämlich zwei milliardenschwere Geldgeber gewinnen: Andrew «Twiggy» Forrest hat sein Geld mit Eisenerzabbau im Westen Australiens verdient. Der frühere Amateurboxer ist einer der reichsten Männer des Landes. Zusammen mit seiner Frau hat er sich als Philantrop gegen moderne Sklaverei und Meeresverschmutzung engagiert. Nun will er sich zum Treiber und Nutzniesser der Energiewende machen. Sein 2020 gegründetes Unternehmen Fortescue Future Industries ist einer der grossen Player im globalen Wasserstoffgeschäft.

Mike Cannon-Brookes, der Gründer des in den USA börsennotierten Softwareunternehmens Atlassian, engagiert sich seit längerem für den Klimaschutz. Er hat als grösster Einzelaktionär dafür gesorgt, dass der australische Energieriese AGL zehn Jahre früher als geplant aus der klimaschädlichen Kohle aussteigen wird. Über Australien hinaus wurde Cannon-Brookes bekannt, als er 2017 mit Tesla-Eigentümer Elon Musk über Twitter eine Wette einging, um ihn dazu zu bewegen, in Rekordzeit eine riesige Batterie für die Stromspeicherung im Süden Australiens zu bauen.
Im vergangenen Jahr trieben die beiden Investoren für Sun Cable 134 Millionen Franken auf. Doch das reicht nicht. Sun Cable braucht eine weitere Finanzspritze von 55 Millionen Franken – und nun gibt es Streit um die künftige Ausrichtung und die Finanzen des «Australia-Asia PowerLink»-Projekts.
Sun Cable hat sich deshalb freiwillig unter die Führung eines Insolvenzverwalters begeben. Cannon-Brookes, der Vorsitzende des Verwaltungsrates, erklärte, «alle bis auf einen Geldgeber» hätten den Entwicklungsplänen zugestimmt.

Der abtrünnige Investor ist Andrew Forrest. Er ärgert sich offenbar über die gestiegenen Kosten, den Rückstand auf den Zeitplan und darüber, dass Sun Cable es nicht geschafft hat, vereinbarte Ziele, einschliesslich der Sicherung indonesischer Genehmigungen, zu erreichen. Laut Medienberichten zieht er auch in Zweifel, ob Cannon-Brookes der richtige Mann an der VR-Spitze ist. Zumal dieser keine Erfahrung mit grossen Infrastrukturprojekten hat.
Die Herausforderungen für Sun Cable sind aber nicht nur finanziell gross. Für Georgious Konstantinou, Dozent für Energiesysteme an der Universität von New South Wales, macht allein die Länge des Unterwasserkabels das Projekt «extrem ehrgeizig». Konstantinou schätzt im «Guardian», dass die Energieverluste selbst bei der besten Hochspannungs-Gleichstrom-Technologie mindestens 15 Prozent betragen würden.
Auch Andrew Blaker, Energieexperte an der Australischen Nationaluniversität in Canberra, ist skeptisch. Er glaubt, dass Sun Cable Konkurrenz durch ähnliche Vorhaben im Singapur deutlich näher gelegenen Indonesien oder Borneo bekommen wird. Die «Australian Financial Review» schreibt in einer Analyse gar von einem «gigantischen Eitelkeitsprojekt». Es sei weder innovativ noch klug, sondern bloss teuer und riskant. Den gewonnenen Solarstrom könne man auch auf dem Nationalen Elektrizitätsmarkt (NEM) losschlagen. «Wenn Singapur wirtschaftlich so sinnvoll ist, dann wäre Sydney sicherlich noch besser.»
Wer übernimmt jetzt Sun Cable?
Zu einem ähnlichen Urteil ist in der Zwischenzeit offenbar Milliardär Forrest gekommen. Der Chef seiner privaten Investmentfirma Squadron Energy, John Hartman, liess Anfang Woche nach einer «umfassenden Analyse» verlauten, das Singapur-Projekt von Sun Cable sei wirtschaftlich nicht rentabel. Squadron Energy glaube weiterhin an die Vision des Solarkraftwerks einschliesslich der Verbindung nach Darwin. Forrests Unternehmen will den Solarstrom nun aber offenbar zur Herstellung von grünem Wasserstoff und grünem Ammoniak nutzen.
Auch Cannon-Brookes hat sein Interesse bekräftigt, den Insolvenzverwaltern ein Angebot für die Übernahme von Sun Cable zu unterbreiten. Er will an der Verbindung nach Singapur festhalten. Gewinnt er den Richtungsstreit der Milliardäre, könnte er beweisen, dass kontinentübergreifende Ökostromprojekte keine Utopie mehr sind. Australische Medien rechnen aber auch mit neuen Kaufinteressenten aus dem Ausland. Sie könnten dem Projekt nochmals einen anderen Dreh geben.
Aus Knies’ Vision entstand die Initiative Desertec, mit der Unternehmen wie Siemens, RWE und Eon riesige Mengen an Wüstenstrom erzeugen und damit sowohl Nordafrika als auch Europa versorgen wollten. Realität wurde das ambitionierte Konzept aber bisher nicht. Kosten und technologische Hürden waren lange Zeit zu hoch, um tatsächlich Sonnenenergie vom Äquator über Tausende Kilometer an ihr Ziel zu leiten.
nlu
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