Familie ist schon ausgeschafft
Er war 11 Jahre alt, als er im Jahr 2005 seinen Onkel erstochen hat. Der Junge wurde wegen Totschlags verurteilt und auf unbestimmte Zeit in Institutionen untergebracht. Doch nun ist er weg. Die Familie wurde ausgeschafft.
Es war das dramatische Ende eines Familienstreits, ein Fall, der die ganze Schweiz aufwühlte. Montag, der 4. Juli 2005: Vor dem Stadtpark Grenchen erstach ein 11-jähriger Junge seinen Onkel mit einem Brotmesser. Seine Schwester, damals 16 Jahre alt, war dabei. Es war die Verzweiflungstat eines Kindes, das monatelange Streitereien miterlebt hatte, er hatte gesehen, wie der Vater den Onkel bedrohte, wie der Vater kurz darauf auf der Polizeiwache zusammenbrach und in eine psychiatrische Klinik gebracht wurde, wie der Onkel kurz darauf die Schwester bedrohte und schlug, und dann stach er zu. Ausschaffung im Dezember Der Junge wurde am 1. September 2006 wegen Totschlags verurteilt. Er bleibe, hiess es damals, «auf unbestimmte Zeit in einer geeigneten Institution untergebracht» und werde therapeutische Hilfe bekommen . Und so war es auch. Der Junge war in mehreren Institutionen platziert. Auch die Schwester, die vom Jugendgericht am 21. Februar 2007 wegen Unterlassen der Nothilfe schuldig gesprochen worden war, wurde in einer Institution untergerbacht. Doch im Dezember 2008 war Schluss. Wie erst jetzt bekannt wird, wurde die Familie ausgewiesen. Peter Hayoz, Leiter des Amts für Ausländerfragen (Fremdenpolizei), bestreitet, dass es eine Ausschaffung war: «Der Vater und die Schwester haben die Schweiz freiwillig verlassen und sind in ihr Heimatland Albanien zurückgekehrt.» Und der Junge, wo ist der? «Der ist mitgegangen», so Hayoz. Ist die Familie auf Druck der Fremdenpolizei ausgereist? «Nein», sagt Hayoz. «Wir haben sie lediglich beraten und dann sind sie gegangen.» Und wenn sie nicht gegangen wären, wären sie dann ausgeschafft worden? «Das», so Hayoz, «kann ich nicht beantworten.» Auch über die Gründe, die zu der Ausschaffung, beziehungsweise zu dieser Beratung, geführt hätten, könne er nichts sagen. Wegen der Tat? Jugendanwalt Bruno Hug aber spricht von unfreiwilliger Ausreise: «Mein Wissensstand ist der, dass die Familie ausgeschafft wurde.» Vielleicht sei dies auch Definitionssache, meint Hug. Dasselbe sagt Kurt Boner, Leiter Sozialregion Oberer Leberberg: « Sie wurden wohl nicht gerade mit Handschellen ins Flugzeug verfrachtet und haben sich wahrscheinlich gefügt. Aber es war eine Ausschaffung.» Was hatte die Zwangsausschaffung mit der Tat des Jungen zu tun? Dazu Boner: «Sie wurde bei der Prüfung der Umstände sicher auch gewichtet, aber es gab schon noch ganz andere Gründe.» Welche Gründe das waren, das könne er nicht sagen, «dazu müsste schon das Amt für Ausländerfragen Stellung nehmen, ich habe keine Kompetenz», so Boner. Doch das Amt für Ausländerfragen schweigt. Jugendanwalt Hug sagt, dass es wohl auch um die Aufenthaltsbewilligung des Vaters gegangen sei, doch zu den Hintergründen dürfe auch er nichts sagen. Klar sei, sagen beide, dass man Familien nicht trennen dürfe: «Das ist Teil der Ausländergesetzgebung», so Hug. Muss einer gehen, gehen alle. Minderjährige Kinder dürften nicht zurückgelassen werden, das sei undenkbar. Dieses Prinzip geht vor. Auch wenn eine Straftat begangen und, wie im Fall der Familie aus Grenchen, eine Unterbringung in einem Heim auf unbestimmte Zeit verordnet wurde. Verantwortbar? Ist es zu verantworten, dass Kinder, die etwas derart Schreckliches getan und erlebt haben, zwei Jahre später in ihre Heimat ausgeschafft werden? Hug ist sicher, dass das Amt für Ausländerfragen alles sehr gründlich und seriös abgeklärt habe, bevor es zu dieser Ausweisung kam. «Man kann höchstens kritisieren, dass es so lange gedauert hat, bis es soweit war», sagt Hug. Trotzdem: Wäre es nicht sinnvoller gewesen, die Kinder hier in der Schweiz zu lassen, ihnen weitere Therapien zu ermöglichen, damit sie das Geschehene verarbeiten können? Der Jugendanwalt sagt, dass er nicht sicher sei, «dass den Kindern das, was sie hier bekommen haben, auch etwas gebracht hat. Diese Kultur funktioniert anders, dort ist Solidarität wichtig, das Zusammensein mit der Familie, der Zusammenhalt und ob die Angehörigen in Albanien hinter der Familie stehen», so Hug. Muss die Familie Racheakte von Angehörigen des getöteten Onkels befürchten? «Wir haben keine entsprechenden Informationen, aber die Fremdenpolizei hat sicher vorher abgeklärt, ob etwas in diese Richtung zu befürchten ist. Das wird in solchen Fällen immer getan.» Wie geht es den Kindern? Weiss man, ob es den Kindern in Albanien gut geht? «Das entzieht sich meiner Kenntnis», sagt Bruno Hug. Und: «Wir haben keinen Auftrag, dort zu recherechieren. Ich bin sicher, die Öffentlichkeit würde es nicht goutieren, wenn wir in Albanien Sozialarbeit leisten würden.» Die Kinder seien erst mal weg. Der Auftrag aber bleibe bestehen: «Sollten sie bis Dezember 2010 wieder in die Schweiz zurückkommen, würden sie wieder in einer Institution untergebracht», sagt Hug. Zwei Jahre nach Abreise, so lange dauere die Verjährungsfrist.Anita Zulauf >
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