Zweite Partie in der Europa LeagueZähes Zähneziehen in Transsilvanien
Einen über weite Strecken uninspirierten Auftritt gegen Cluj versuchen die Young Boys erst spät zu korrigieren. Dank Christian Fassnachts Tor zum 1:1 gewinnt YB den ersten Punkt – und hält in der Gruppe den Anschluss.

Wie es im Dr.-Constantin-Radulescu-Stadion in Cluj-Napoca gestern Abend gerochen hat, ist nicht überliefert – aber Gerardo Seoane zumindest witterte irgendwann den Sieg. In diesem zweiten Gruppenspiel der Europa League beim rumänischen CFR Cluj wechselte der YB-Trainer eine Viertelstunde vor Schluss mit Miralem Sulejmani und Jordan Siebatcheu noch einmal Tempo und Wucht ein und liess seine Mannschaft fortan in einem 3-4-3-System nach vorne spielen. Beim Stand von 1:1 spürte er, dass gegen behäbige Rumänen der Vollerfolg drin lag.
Tatsächlich traten die Young Boys in dieser Phase nach einem über weite Strecken uninspirierten Auftritt noch einmal richtig beschwingt an. Ein Konter über Sulejmani blieb hängen, ein Versuch von Christian Fassnacht erfolglos. Auf der anderen Seite hatte YB Glück, dass der im Strafraum völlig frei agierende Michael Pereira wegrutschte und übers Tor schoss.
Geblockt, vertan, verfehlt – es blieb ein Abend der Unzulänglichkeiten.
Zur Pause schritt Trainer Gerardo Seoane mit ziemlich grimmiger Miene in die Kabine. «Den Gegner hoch anlaufen und der Robustheit trotzen», das hatte er noch vor der Partie als Marschroute für seine Mannschaft durchgegeben. Davon bekam er gerade in der Startphase kaum etwas zu sehen. Es wurde wie erwartet ein Anlass in rustikalem Rahmen: ein leeres Stadion, ein physisch-geprägter Gegner, kaum spielerischer Glanz. Die Young Boys zeigten sich zu Beginn fast erstaunt über den Raum, den sie gegen tief stehende, abwartende Rumänen vorfanden, vermochten ihn aber lange Zeit nicht zu nutzen. Schon im ersten Gruppenspiel gegen Sofia verzeichnete Cluj – mit einer im Durchschnitt gestern fast 31 Jahre alten Startaufstellung – weniger Chancen, weniger Ballbesitz als der Gegner. Aber gewann das Spiel dank zwei Toren nach Standardsituationen mit 2:0.
Seoane laut an der Seitenlinie
Nach einer Viertelstunde mussten die «Eisenbahner» auf eine erste Betriebsstörung reagieren: Innenverteidiger Paulo Vinicius verletzte sich, Cristian Manea ersetzte ihn. YB konnte, Cluj wollte nicht, womöglich war es phasenweise auch umgekehrt, auf jeden Fall entwickelte sich ein Spiel auf ziemlich bescheidenem Niveau. Nach einer halben Stunde kam Fassnacht – nach der Einwechslung zuletzt gegen Luzern wieder in der Startformation – mit einem harmlosen Kopfball zum ersten Abschluss für YB. Und kurz vor dem Seitenwechsel hatte Nicolas Ngamaleu die bis dahin beste Chance des Spiels: Nach einem von ihm provozierten Abpraller kam er aus spitzem Winkel zum Abschluss, Cristian Balgradean im Tor von Cluj parierte.
Es erwies sich als das erwartet zähe Unterfangen, dem Club aus der Region Transsilvanien, bekannt für die Ansiedlung des Vampir-Romans «Dracula» von Bram Stoker, den Zahn zu ziehen. Im Duell der beiden Meister lag der rumänische Champion, der im gesamten ersten Durchgang zu keiner echten Torchance kam, für den Schweizer Primus durchwegs in Schlagdistanz, so viel war schnell klar. Auch deshalb zeigte sich Seoane an der Seitenlinie früh unzufrieden, wurde zwischenzeitlich ziemlich laut.
Cluj wartete zu Beginn von Halbzeit zwei mit seiner bislang besten Möglichkeit auf. YB-Goalie David von Ballmoos musste erstmals intervenieren, parierte den Kopfball von Mario Rondon. Und nach einer Stunde geschah, womit rein statistisch zu rechnen war: Cluj erzeugte Gefahr durch einen Standard. Jean-Pierre Nsame klärte nach einem Corner ungenügend mit einem Kopfball, von Ballmoos verpasste es, den Ball wegzufausten. Gleich drei Mann konnten dann Mario Rondon nicht am Torschuss hindern, der Schuss des Venezolaners fand abgefälscht den Weg ins Tor.
Die Reaktion von YB folgte auf dem Fuss. Nach einem Einwurf von Quentin Maceiras verlängerte Nsame per Kopf, Fassnachts erster Versuch wurde geblockt, bevor er mit links in die rechte Torecke traf. 1:1, zwei Tore in fünf Minuten – man wähnte sich plötzlich in einem anderen Spiel.
Es blieb beim Unentschieden. Wie sich lange Zeit angedeutet hatte, wurde es zumindest kein torloses Remis. Aber nach dem 1:1 wartet YB europäisch nunmehr seit zwei Jahren und dem historischen 2:1 bei Dinamo Zagreb auf einen Auswärtssieg. Mit diesem Vollerfolg auf fremdem Platz hatten sich die Young Boys 2018 zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte für die Champions League qualifiziert.
YB also holt den ersten Punkt in dieser Kampagne. Und weil die AS Roma zuhause gegen Sofia nur 0:0 spielte, bleibt die Gruppe einigermassen zusammen. Schon in einer Woche erwarten die Berner die Bulgaren von Sofia zum Heimspiel – während nach wie vor unklar ist, ob das Spiel vom Wochenende in Lugano nach diversen Coronafällen bei den Tessinern stattfinden wird.
Moritz Marthaler schreibt für Tamedia seit 2010 in wechselnden Rollen über Sport- und Gesellschaftsthemen.
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