Xi Jinping bemüht sogar Dante
Rom empfängt Chinas Staatschef mit allen Ehren. Die Italiener hoffen auf Investitionen und einen privilegierten Dialog mit Peking beim Bau der neuen Seidenstrasse.

Ein Flimmern liegt auf der Stadt, es ist ein Mix aus Aufregung und Rätseln. Xi Jinping ist in Rom, begleitet von zweihundert Mitarbeitern und Unternehmern. «La Stampa» nennt es einen «pharaonischen Empfang», der dem chinesischen Staatschef da bereitet werde, mit allem Drum und Dran: Zeremonie vor dem Altare della Patria, Staatsdinner im Quirinalspalast, Besuch bei beiden Parlamentspräsidenten. Hochpolitisch, das ganze Protokoll. Dabei soll es ja angeblich nur um Wirtschaft gehen.
Xi Jinping will mit den Italienern gross ins Geschäft kommen, gemeinsam mit ihnen an der Zukunft der Welt bauen, an einer «neuen Seidenstrasse», und dabei eine alte Freundschaft wiederbeleben. So steht es in seinem offenen Brief an die «Amici italiani», den der «Corriere della Sera» auf der ersten Seite veröffentlicht hat. Xi Jinping zitierte darin Vergil und Alberto Moravia, erinnerte an Marco Polo und Dante Alighieri. Die Chinesen, schreibt er, seien verrückt nach Pizza und Tiramisù, nach italienischen Möbeln und Kleidern, nur beste Ware sei das. So leidenschaftlich hat sich schon lange niemand mehr angekündigt hier.
Ein trojanisches Pferd?
Doch in Italien weiss man nicht so recht, was davon zu halten ist. Am Zeitungsstand schaut Xi Jinping recht grimmig vom Cover des Nachrichtenmagazins «Panorama», feurig roter Hintergrund, dazu die Überschrift: «Dieser Mann will uns kaufen».
«Triest könnte dann zu einem neuen Singapur werden oder zu einem neuen Hongkong.»
Kommt er nun als Freund? Oder ist es eher so, wie es die alten westlichen Partner vermuten, die Amerikaner, die Deutschen, die Franzosen, nämlich dass China Italien als «Brückenkopf» ins Herz Europas braucht? Es kursiert auch ein martialischeres Bild: trojanisches Pferd. Die Chinesen, hört man, scherten sich nie um die Nutzen anderer, nur um die eigenen. Mehr noch: Sie trieben ihre Partner mit Infrastrukturprojekten bewusst in die Schuldenfalle, um sich dann alles zu nehmen. In Afrika war es so, in Asien da und dort auch. Mit seinen exorbitanten Staatsschulden ist Italien anfällig für dieses Modell. Amico Xi?
Italien ist das erste bedeutende Land des Westens, das sich Chinas gigantischem und kontroversem Bau- und Handelsprojekt anschliesst, der sogenannten Belt-and-Road-Initiative. Der erste G-7-Staat auch, Gründungsmitglied der Europäischen Union und der Nato. Natürlich stiftet das Solo der Italiener viel Unmut in Brüssel und Washington, in Paris und Berlin. In Italien selbst auch.
Weder ein Abkommen noch ein Vertrag
Federführend waren die Cinque Stelle und ihr Chef, Luigi Di Maio. Der war im vergangenen November in China, um Xis Besuch vorzubereiten. Die rechte Lega fühlte sich schlecht informiert, gar ein bisschen vorgeführt, was doch einigermassen erstaunlich ist. Matteo Salvini warnte gar vor einer «Kolonialisierung durch die Chinesen». Wahrscheinlich musste er den Unternehmern im Norden Italiens versichern, dass er schon schaue, dass das nicht geschehe. So fühlte sich Premierminister Giuseppe Conte diese Woche gedrängt, einige Grundpfeiler seiner Politik neu zu zementieren. Die Interessen Italiens kämen immer zuerst, sagte er. Und: Die Treue zur «euro-atlantischen Tradition» bleibe stark. Doch am Programm änderte das nichts.
Für Samstag steht die Unterzeichnung eines Memorandum of Understanding an, einer Absichtserklärung zur Belt-and-Road-Initiative. Das ist weder ein Abkommen noch ein Vertrag mit genauen Zielvorgaben. Doch die Opposition erinnerte daran, dass das Parlament ein Recht darauf habe, zu erfahren, was drinsteht. Erst auf deren Druck kam Conte überhaupt ins Parlament. Vor einigen Tagen tauchte ein Entwurf der Erklärung auf: drei, vier Seiten mit vage formulierten Prinzipien zu Dialog, Transparenz und Wechselseitigkeit in einer künftig breiten Zusammenarbeit. Genau diese Vagheit alarmiert die Skeptiker vor allem in drei strategischen Dossiers: bei der Telekommunikation, beim Ausbau der Schiffshäfen und bei den Staatsfinanzen.
Der chinesische Netzwerkanbieter Huawei, vor dem die Amerikaner warnen, ist schon lange präsent in Italien. In Mailand betreibt er zwei Standorte, einer beschäftigt sich mit dem Potenzial von 5G für Mode und Design. Im sardischen Pula, wo Huawei ein Innovationszentrum für «Smart und Safe Cities» unterhält, schaute Xi vor drei Jahren schon mal vorbei und wurde vom damaligen Premier Matteo Renzi empfangen. In Catania, nicht weit vom Luftwaffenstützpunkt in Sigonella, den auch die Nato und die USA nutzen, hat Huawei eine Forschungsstätte für das Internet der Dinge. Der andere grosse Konzern auf dem Gebiet, ZTE, experimentiert in Florenz und in den Abruzzen. Alle italienischen Telekommunikationsunternehmen arbeiten mit den Chinesen, sie bauen auf deren Technologie für den neuen Mobilfunkstandard.
In Triest und Genua hoffen sie unterdessen auf Investitionen in die Häfen.
Um jene zu beruhigen, die sich vor chinesischer Spionage fürchten, versprach die Regierung nun eine Ausweitung der «Golden Power». Gemeint ist damit das Vetorecht des italienischen Staates auch bei Privatunternehmen, deren Geschäft strategisch zentral ist für das Land. Etwa beim 5G. Doch Huawei stoppen? Darüber wurde nie diskutiert.
In Triest und Genua hoffen sie unterdessen auf Investitionen in die Häfen. «Triest könnte dann ein neues Singapur werden oder ein neues Hongkong», sagte Zeno D'Agostino, der Präsident der dortigen Hafenbehörde, der geopolitischen Zeitschrift «Limes». Die Chinesen hätten einen strategischen Fehler begangen, als sie den Hafen von Piräus kauften, der sei viel zu schlecht verbunden mit dem Rest Europas. So kommt der Norden Italiens ins Spiel, als grosse Drehscheibe am Ende der Seewege auf der neuen Seidenstrasse. Die Deutschen hätten Duisburg am Ende der Schienenwege, heisst es in Italien, da sei es doch nur legitim, wenn die Italiener Triest und Genua ins Spiel bringen.
Sorge vor der Abhängigkeit
Überhaupt verstehen die Italiener nicht, warum man sie kritisiert. Conte sagte, andere europäische Länder kooperierten viel stärker mit China als Italien. Er meinte vor allem: Deutschland. Kritiker behaupten, Italien gewinne nichts mit der Anbindung an die Seidenstrasse. Es bestehe gar die Gefahr, dass die Chinesen den Saldo bei der bilateralen Handelsbilanz noch mehr zu ihren Gunsten biegen würden. Im Memorandum ist offenbar auch die Rede von einem «Finanzdialog zwischen den beiden Finanzministern». Ist damit gemeint, dass Peking auch im grösseren Stil italienische Schuldscheine aufkaufen könnte, wenn die Not wächst und die Europäische Zentralbank nicht mehr hilft? Und was würde dann aus der nationalen Souveränität, welche die römischen Populisten so gerne besingen?
Eingerichtet hat sich Xi Jinping in einem Nobelhotel bei der Villa Borghese, dem Park. Vom obersten Stock sieht man über die ganze Stadt, bis zur Kuppel des Petersdoms. Der Vatikan soll noch immer hoffen, dass Xi auch schnell den Papst besucht. Damit man die Annäherung mit Peking besiegeln könnte, bei einer Privataudienz, samt Austausch von Geschenken. Doch Xi verzichtet wohl. Er kam ja fürs Geschäft.
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