Künstliche Intelligenz bei Tamedia Wie Algorithmen unseren Journalismus unterstützen
Abstimmungsresultate sehr genau voraussagen, Artikel personalisiert empfehlen oder ein passendes Bild finden – all dies wird durch künstliche Intelligenz ermöglicht.

Die renommierte amerikanische Zeitung «New York Times» tut es, die «Financial Times» tut es, und Tamedia tut es – auf künstliche Intelligenz setzen. Bereits seit den 90er-Jahren verwenden der «Tages-Anzeiger» und andere Zeitungen der Gruppe eine Rechtschreibsoftware. Anfangs war es nur eine kleine Hilfe, um gröbere Fehler zu erkennen, etwa einen falschen Kasus oder einen Tippfehler. Heute – mehr als 20 Jahre später – sind solche Computerprogramme jedoch viel ausgefeilter.
Bei der Rechtschreibung kommt zunehmend das sogenannte maschinelle Lernen zum Einsatz. Bei dieser Technik wird mit grossen Datenmengen gearbeitet, und das Computerprogramm sucht nach Mustern, um selbst Vorhersagen oder Entscheidungen zu treffen. Mithilfe dieses Ansatzes hat ein Team die Rubrik «Das könnte Sie interessieren» entwickelt: Dort werden personalisierte Empfehlungen von Artikeln angezeigt, die auf dem individuellen Verhalten der Leserinnen und Leser basieren. Dies kann zurzeit bei den Zeitungen «Tages-Anzeiger», «24 Heures» und «Tribune de Genève» als registrierter User getestet werden.
Wenn der Computer zunehmend Schweizerdeutsch versteht
Ein weiteres, ebenfalls intern entwickeltes Tool ermöglicht den Schreibenden und der Bildredaktion die Suche nach Archivbildern mithilfe eines neuronalen Netzes. Es findet Übereinstimmungen nicht nur basierend auf den mitgelieferten Bildbeschriftungen, sondern auch auf dem, was effektiv auf dem Bild zu sehen ist: eine Tierart, eine Personengruppe bei einer bestimmten Sportart oder ein bestimmtes Gesicht.
Ein auf maschinellem Lernen basierendes Programm übernimmt die Transkription von Interviews. Diese Sprache-zu-Text-Software hilft Journalisten, Zeit zu sparen. Die Lösung, die Tamedia einsetzt, funktioniert bis zu einem gewissen Grad gar mit Schweizerdeutsch. Das heisst, dass auf Schweizerdeutsch geführte Interviews auf Hochdeutsch übersetzt und erfasst werden. Zurzeit fordert das Tool jedoch noch einiges an manueller Nachbearbeitung, wenn ein Interview in Schweizerdeutsch verschriftlicht wird.
Dasselbe gilt für die Übersetzung von Texten. Die künstliche Intelligenz leistet Vorarbeit, doch dann kommt unser internes Übersetzerteam ins Spiel, um dem Text den letzten Schliff zu geben und sicherzustellen, dass die Software keine Übersetzungsfehler oder inhaltlichen Dreher gemacht hat.
Journalismus als Ganzes ist und bleibt ein menschliches Handwerk.
Neben der traditionellen Berichterstattung kommen an Abstimmungstagen auch verschiedene KI-Programme zum Einsatz. Dank den Ergebnissen der ersten Gemeinden können am Abstimmungssonntag ab Mittag Prognosen erstellt werden. So konnte beispielsweise für die letzte Abstimmung zur AHV-Reform Rentenalter 65 für Frauen kurz nach der Schliessung der Abstimmungslokale um 12.02 Uhr ein Ja-Anteil von 50,4 Prozent vorausgesagt werden. Das Endergebnis lag bei 50,6 Prozent. Dies ist nur dank eines Algorithmus möglich, der mit den Abstimmungsergebnissen der letzten 40 Jahre trainiert wurde.
Zusätzlich zu diesen Prognosen werden automatische Texte für alle 2145 Gemeinden in der Schweiz erstellt. Dies hat nichts mit maschinellem Lernen oder neuronalen Netzen zu tun – hier programmieren unsere Journalisten einfache Wenn-dann-Regeln. Damit werden vorgegebene Textbausteine zusammengestellt, die das jeweilige Resultat beschreiben. Selbst Berichte über lokale Fussballspiele bis zur 2. Liga interregional und der 1. Liga der Frauen werden auf diese Weise automatisch geschrieben.
Künstliche Intelligenz ist ein wertvolles Werkzeug, um die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten zu vereinfachen. Es hilft, grosse Datenmengen zu verarbeiten, standardisierte Informationen abzubilden und die Recherche zu vereinfachen. Am Anfang und am Schluss stehen jedoch nach wie vor die Journalistinnen und Journalisten, die Themen aufspüren und Schwerpunkte setzen. Journalismus als Ganzes ist und bleibt ein menschliches Handwerk.
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