Schutz für Wildtiere und NaturWer nicht auf dem Weg bleibt, erhält eine Busse
In vielen Wildschutzgebieten wird das Regime strenger – etwa am Gurnigel. Touristen sollen aber trotzdem auf die Rechnung kommen. Eine Gratwanderung.

Zwei Frauen mit Schneeschuhen stapfen durch den Schnee. Der Weg führt unterhalb des Selibühls vorbei, des beliebten Aussichtspunkts nahe dem Berghaus Gurnigel. Er ist gespurt und beschildert. Am Wegrand steht Stefan Steuri und spricht die Frauen an. «Haben Sie schon mal vom Wildschutzgebiet gehört?»
«Ja», sagt eine der Läuferinnen. «Wegen der Wildtiere sollte man hier auf dem Weg bleiben.» Sie kämen aus der Region, sagt die andere. Und in der App, die sie benütze, sei das Gebiet in der Karte eingezeichnet. Es besteht kein Zweifel, diese Frauen werden sich an die Vorschriften halten.
Das gilt aber nicht für alle Gäste im Gantrischgebiet. Das ist zunehmend ein Problem. In den letzten Jahren besuchten immer mehr Touristinnen und Touristen das Ausflugsziel zwischen Bern, Thun und Freiburg. Und die Corona-Pandemie habe den Ansturm noch erhöht, sagt Steuri. Und damit den Druck auf die Natur.
Wild braucht Ruhe
Kaum jemand weiss das besser als Wildhüter Yves Portmann, der mit Steuri unterwegs ist. Er ist zuständig für ein Gebiet, das sich von der Aare bis zur Sense und vom Belpberg bis zur Gantrischkette erstreckt. Er kennt die Orte, wo Haselhühner sich paaren, Schneehasen hoppeln und Rothirsche sich ausruhen.
«Hier herrscht manchmal fast rund um die Uhr Betrieb», sagt er. Vom frühen Morgen bis in die Nacht, wenn Vollmond ist. Wanderer, Hündelerinnen, Biker. Langläuferinnen, Schlittler, Skifahrerinnen. Naturfotografen, Pilzsammlerinnen, Ornithologen. Was ihn dabei umtreibt: «Das Wild wird immer mehr zurückgedrängt.»
Unterhalb des Selibühls etwa befinde sich ein Einstand – ein Rückzugsort – für die geschützten Birkhühner. «Im Winter lassen sie sich einschneien», sagt Portmann. In ihrer Höhle hätten sie eine konstante Temperatur, so könnten sie Energie sparen. Und den Winter überleben.
«Wenn sie aber von Leuten, die kreuz und quer durchs Gelände laufen, aufgeschreckt werden, fliegen sie auf.» Das koste Energie, und mit jedem Mal werde es schwieriger, den Bedarf wieder zu decken. Deshalb müsse man dafür sorgen, dass sie nicht gestört werden. Das ist sein Job.

Neue Regeln
Beim Gurnigelpass sei schon 1992 ein Banngebiet ausgeschieden worden, erzählt Portmann, während eine Fünfergruppe mit Schneeschuhen vorbeiläuft. 2003 wurde daraus das Wildschutzgebiet Schüpfenfluh. Allerdings habe es noch keine touristischen Einschränkungen gegeben – wie überall im Kanton.
Bis jetzt galten in den Wildtierschutzgebieten nur Vorschriften, die die Jagd betreffen. Freiwillige Massnahmen wie Tafeln mit dem Hinweis, dass man die Wege nicht verlassen solle, nützten wenig. Es bestand Handlungsbedarf. Das Jagdinspektorat machte sich daran, sämtliche rund 80 Gebiete zu überprüfen.
Dieser Prozess begann 2016 und dauert noch an. Tendenziell werden die Schutzgebiete verkleinert, die Massnahmen aber verstärkt. Neu werden Vorschriften zum Benützen der Wege, zur Leinenpflicht und zu Freizeitaktivitäten erlassen. Und neu ist: Wer sich nicht daran hält, kann gebüsst werden.
«Es ist nicht das Ziel, dass unsere Wildhüter möglichst viele Bussen verteilen», sagt der Berner Jagdinspektor Niklaus Blatter. Aber es gebe Unbelehrbare. Im Justistal, wo man erste Erfahrungen gemacht hat, seien am Anfang häufig Bussen ausgestellt worden. Nun hätten sich die Leute daran gewöhnt.
Neue Regeln in Kraft
Im Gebiet Schüpfenfluh gelten die neuen Regeln seit 1. Dezember. Natürlich, betont Wildhüter Portmann, gehe es zunächst darum, die Menschen zu sensibilisieren. Das ist insbesondere die Aufgabe des Rangers. «Wenn man mit den Leuten spricht, haben sie meistens Verständnis», sagt Stefan Steuri. Aber eben nicht alle.
Und deshalb sagt Portmann: «Wenn ich jemanden ein zweites Mal erwische, dann sensibilisiere ich nicht mehr. Dann büsse ich.» Wer den Hund regelwidrig von der Leine lässt oder abseits der Wege geht, wird gemäss Bussenkatalog mit 100 Franken gebüsst. Wer beides gleichzeitig tut, zahlt 200 Franken.
Wer die Busse nicht vor Ort bar zahlen kann, muss sich ausweisen. Wer sich weigert, den begleitet Portmann zum Fahrzeug. «Die meisten sind mit dem Auto da.» Dann notiert er sich die Nummer. Es gebe solche, die bestünden auf der Polizei. Das dauere, ändere aber nichts. «Zahlen müssen sie sowieso.»
Schneeschuhlaufen erlebe derzeit einen Boom, sagt Portmann. «Viele sind zum ersten Mal da.» Er erkennt sie daran, wie sie sich die Schuhe anbinden – ihr Problem. Sein Problem ist es, wenn sie frischfröhlich und rücksichtslos durch den Pulverschnee stapfen. Auch mit Hündelern ohne angeleinte Tiere hat er es oft zu tun.

Gutschweizerischer Kompromiss
Bis zu den geltenden Regeln sei es ein weiter Weg gewesen, sagt Wildhüter Portmann. Er ist zufrieden, auch wenn sie aus seiner Sicht noch strenger hätten ausfallen können. Aber er weiss auch, dass es noch eine andere Sicht gibt. Zum Beispiel jene des Naturparks Gantrisch.
«Wir stehen einerseits voll hinter dem Natur- und Wildschutz», sagt Ramona Gloor vom Naturpark. Aber wichtig sei auch, dass sich die Leute trotzdem noch relativ frei im Gebiet bewegen könnten. Bei der Erarbeitung der Schutzbestimmungen habe der Naturpark einen gewissen Spielraum erreicht.
Es ist klar: Die Organisation ist daran interessiert, dass Touristen ins Gebiet kommen und für Wertschöpfung sorgen. Für den Gurnigel liegen keine Zahlen vor, dafür aber für den Gäggersteg, ein neues Angebot in Rüschegg. 2020 wurden dort 80’000 Gäste gezählt – zuvor waren es hochgerechnet jeweils 13’000 bis 15’000.
Natürlich sorgte die Neuheit für den Anstieg, aber auch Corona. Gloor rechnet damit, dass die Besucherströme wieder abnehmen werden, wenn es einmal keine Reisebeschränkungen mehr geben wird. Und schon jetzt gebe es nur «wenige Wochenenden, an denen es überlaufen ist».

Die Wissenschaft arbeitet mit
Beim Selibühl kehren Wildhüter Portmann und Ranger Steuri von ihrem Rundgang zurück. An diesem Tag hat es trotz Sportferien nur wenige Gäste. Sie haben Schneeschuhe oder Schlitten dabei, alle verhalten sich regelkonform.
Das freut Stefan Steuri. «Wir wollen ja, dass die Leute Spass haben und wiederkommen.» Und dass sie die richtigen Wege nehmen. «Wenn die Leute unabsichtlich falsche Wege nehmen, müssen wir etwas ändern.» Besucherlenkung nennt sich das.
Diesbezüglich läuft auch das wissenschaftliche Projekt «Naturparkstation». Es geht darum, den «Nutzungsdruck in ökologisch sensiblen Gebieten zu steuern und zu minimieren». Involviert sind der Kanton Bern und die Wyss Academy of Nature der Universität Bern, die von Mäzen Hansjörg Wyss finanziert wird.
Jetzt geht es aber erst einmal darum, dass sich die Besucher an die neuen Regeln im Wildschutzgebiet gewöhnen – und sich daran halten. «Ich habe lange dafür gekämpft», sagt Yves Portmann. «Jetzt gilt es ernst.»

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