«Wer immer gewinnt, Libyen ist der wahre Sieger dieser Wahl»
Die ersten Ergebnisse der libyschen Wahlen deuten auf einen Vorsprung des liberalen Bündnisses hin. Dessen Aushängeschild Dschibril rief seine Landsleute zur Geschlossenheit auf. Doch noch ist nichts entschieden.
Die libysche Wahlkommission hat die ersten vorläufigen Ergebnisse der Parlamentswahl verkündet. In den beiden Wahlbezirken Dschansur und Sliten erhielt die liberale Allianz der Nationalen Kräfte nach Auszählung fast aller Stimmen mit Abstand die meisten Stimmen. In der einstigen Rebellenhochburg Misrata rund 200 Kilometer östlich von Tripolis sei das Bündnis nach dem Auszählungsstand dagegen weit abgeschlagen nur auf Platz vier gelandet. Dort holte den Angaben zufolge die kleine Partei Bund für das Vaterland die meisten Stimmen.
Dschibril rief seine Landsleute zur Geschlossenheit auf. «Wir rufen aufrichtig zu einem nationalen Dialog auf mit dem Ziel, in einer Koalition unter einem Banner zusammenzufinden», sagte er.
Bei der Wahl am Samstag habe es «keine Verlierer oder Gewinner gegeben», betonte Dschibril: «Wer immer gewinnt, Libyen ist der wahre Sieger dieser Wahl.» Dschibril sagte, sein Bündnis werde die Veröffentlichung der offiziellen Wahlergebnisse abwarten. Die Auszählung aller Stimmzettel könnte insgesamt vier bis fünf Tage lang dauern. Es deutete sich jedoch ein gutes Abschneiden der Liberalen gegenüber den Islamisten an.
Bündnis in Tripolis und Benghazi vorne
Bereist am Sonntag hatte der Generalsekretär der liberale Allianz der Nationalen Kräfte, Faisal al-Krekschi, verkündet, das Bündnis liege «in den meisten Wahlbezirken vorne». Das Bündnis wird von Mahmud Dschibril angeführt, der nach dem Sturz des langjährigen Machthabers Muammar al-Ghadhafi zeitweise die Übergangsregierung leitete.
In der Allianz der Nationalen Kräfte sind mehr als 40 kleine Parteien zusammengeschlossen, die sich an dem Aufstand gegen Ghadhafi beteiligten. Noch bevor erste offizielle Ergebnisse vorlagen, erklärte auch einer der Führer der islamistischen Parteien, Mohammed Sawan, dass die Allianz der Nationalen Kräfte in der Hauptstadt Tripolis und in der zweitgrössten Stadt Benghazi «deutlich vorne» lägen.
«Klima der Freiheit»
Die EU und die USA haben die ersten demokratischen Wahlen seit Jahrzehnten in Libyen als «historisch» bezeichnet. Dies sei der «Beginn einer neuen demokratischen Ära», sagte die EU-Aussenbeautragte Catherine Ashton in Brüssel.
Die Libyer hätten in einem «Klima der Freiheit» gewählt. Trotz Berichten über vereinzelte Gewalttaten hätten die Libyer «in Ruhe und Würde über ihre Zukunft entschieden».
Viel Lob aus den USA
US-Präsident Barack Obama sagte, die USA wollten «eng mit dem neuen Libyen zusammenarbeiten». Zwar gebe es weiterhin Herausforderungen für das nordafrikanische Land, doch die USA seien zur Hilfe bereit.
«Während das libysche Volk dieses neue Kapitel aufschlägt, kann es auf die weitere Freundschaft und Unterstützung der USA bauen», meinte Obama in einer schriftlichen Erklärung.
60 Prozent Wahlbeteiligung
Die Wahlbeteiligung erreichte nach ersten Informationen der Wahlkommission 60 Prozent. «Es gehen noch weitere Berichte ein, aber die Zahl der Wähler hat 1,6 Millionen erreicht, das sind 60 Prozent der Stimmberechtigten», sagte der Leiter der Wahlkommission, Nuri al-Abbar, in der Hauptstadt Tripolis.
Bei dem Wahlgang wurden insgesamt 200 Mandate für den Nationalkongress vergeben, für den sich mehr als 3700 Kandidaten bewarben. Die Abgeordneten sollen eine Übergangsregierung ernennen und die Wahl eines Rates vorbereiten, der eine Verfassung für das nordafrikanische Land schreibt.
Mit ersten Ergebnissen wurde für Montag oder Dienstag gerechnet. Ähnlich wie in Tunesien und Ägypten dürften nach Einschätzung von Beobachtern auch in Libyen vor allem islamistische Parteien bei der Wahl zum Zuge kommen.
Volksfest in Tripolis
Vor allem in der Hauptstadt Tripolis wurde der Wahltag zum Volksfest. Mehr als eine Stunde vor Öffnung der Wahllokale bildeten sich bereits lange Schlangen. Viele Libyer machten vor dem Urnengang das Siegeszeichen, Autofahrer fuhren hupend die Strassen entlang, andere riefen «Allahu Akbar» («Gott ist grösser»). Einige Wahlberechtigte hatten sich die libysche Flagge um die Schultern gelegt. Süssigkeiten wurden verteilt und Frauen umarmten sich oder stimmten Lieder an, während sie warteten.
«Schau mal die Schlangen an. Alle sind aus freien Stücken hier. Ich wusste, dass der Tag kommen und Ghadhafi nicht für ewig hier sein würde», sagte ein 50-jähriger Beamter. Ghadhafi habe einen Polizeistaat hinterlassen.
«Ich habe heute ein merkwürdiges, aber wunderbares Gefühl», sagte ein Zahnarzt. «Endlich sind wir frei nach Jahren der Angst. Wir wussten, der Tag wird kommen, aber wir hatten Angst, es könnte noch lange dauern.»
Toter bei Gefechten im Osten
Die Freude wurde allerdings von den Störaktionen getrübt, die einmal mehr die Spannungen zwischen dem Osten und Westen des ölreichen Landes aufzeigten, das jahrzehntelang von Ghadhafi mit harter Hand regiert worden war. In mehreren Städten im Osten stürmten Demonstranten Wahllokale und verbrannten Wahlzettel.
Im Osten des Landes herrscht Unmut über das Wahlgesetz, das dem bevölkerungsreicheren Westen mehr Abgeordnete zugesteht. Zuletzt hatten frühere Rebellen auch drei Ölraffinerien abgeschaltet, um den Übergangsrat zu zwingen, die Wahl abzusagen.
2,9 Millionen Wähler
Bei einer Pressekonferenz am Samstag sagte al-Abar, dass 94 Prozent der Wahllokale landesweit geöffnet seien. Er räumte aber ein, dass wegen «Sicherheitsbedingungen» in einigen Wahllokalen Wahlzettel nicht angekommen oder vernichtet worden seien.
Knapp 2,9 Millionen Menschen hatten sich als Wähler registrieren lassen, um über die 200 Sitze im Übergangsparlament zu entscheiden. Die Abgeordneten haben die Aufgabe eine neue vorübergehende Regierung zu wählen. Um die Sicherheit der Abstimmung zu gewährleisten, war ein hohes Aufgebot von Polizisten und Soldaten im Einsatz.
3700 Kandidaten
3700 Kandidaten, darunter 585 Frauen, bewerben sich um 200 Mandate. Tripolis und der Westen haben 100 Sitze, Benghazi und der Osten 60, der Südwesten 40. Die wichtigsten Bewerber bei der Wahl sind die islamistische Muslimbruderschaft, die aus Salafisten und anderen Islamisten bestehende Al-Watan, die säkulär ausgerichtete Allianz der Nationalen Kräfte und die Nationale Front, die unter Ghadhafi in der Opposition war. Ergebnisse der Wahl werden in der kommenden Woche erwartet.
Libyen war mehr als vier Jahrzehnte lang autoritär von Muammar al-Ghadhafi regiert worden, der nach dem Volksaufstand im vergangenen Jahr auf der Flucht getötet wurde.
SDA/mw/kpn
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch