Neuer Präsident im SchachclubVom Strassenspieler zum Präsidenten
Nguyen Ly präsidiert neu den Schachclub Bern. Der passionierte Schachspieler will nicht nur wegen der Netflix-Serie «Damengambit» mehr Frauen anlocken und seinen Nachwuchs mit Vorbildern im Club behalten.

Hinter der grossen Baustelle am Bärenplatz befindet sich eine für Aussenstehende verborgene Welt. Am Boden ist ein Mühlespiel aufgezeichnet. Mehr Aufmerksamkeit bekommt aber das Schachbrett. Ringsherum stehen Männer, grummelige, laute, schlaue, betrunkene, lustige, nervöse, ganz stille. Von den Holzbänken, auf denen heute niemand sitzen mag, blättert die Farbe ab. Bruno hat Rechaudkerzen und eine Pfanne mitgenommen und bereitet gerade einen Apérohappen mit Fleisch zu. Danach gibts Raclette, verspricht der ehemalige Metzger, der das Rauchen aufgegeben hat und sich nun der Kulinarik widmet. Am liebsten hier am Bärenplatz.
Doch zurück zur Hauptsache und der Hauptperson dieser Geschichte: Am Spielfeldrand steht Nguyen Ly. Er schaut dem Spiel von Miralem zu, der stärker als er selbst spiele. Einmal in Biel am internationalen Turnier habe Ly ein Remis gegen ihn geschafft. Gerade trifft Jean-Marc ein, der kürzlich ein Buch über Zeitmanagement beim Schach herausgebracht hat. Er grüsst Ly, schliesslich sind sie im gleichen Schachclub. Aber auch hier am Bärenplatz treffen sich die Männer manchmal, zum Strassenschach.
Frauen gibt es keine, kurz schaut ein Vater mit seiner Tochter vorbei. Ansonsten gleicht die Runde einem stehenden Stammtisch, mit anderen Sprachen, und statt Jassen ist Schach hoch im Kurs. Manchmal, wenn einer wütend sei oder verloren habe, flögen Figuren. Auch heute werden Spielzüge mit einem lauten Knall betont, und Kraftausdrücke in allen Sprachen hallen über den Bärenplatz. Im Halbstundentakt fährt ein Polizeiauto vorbei, die Stirnrunzeln der Polizisten lassen vermuten, dass das Schachspiel jeden Moment abgeräumt werden könnte.

Der 42-jährige Ly ist nicht nur Mitglied im Schachclub Bern, sondern präsidiert diesen seit Dezember. Es ist ein Generationenwechsel, denn Ly folgt auf Albert Schmid, der sechs Jahre Präsident war. Kaum spricht er von Schmid, kommt dieser in gemächlichem Schritt vom Bundesplatz her auf die Schachecke zu. Ly freut sich, ihn zu sehen. «Hast du dich gut eingelebt?», will sein Vorgänger wissen. Sofort reden sie über die Online-Klubabende, die Nguyen jeweils freitags durchführt.

Der gebürtige Vietnamese hat viel vor: Allem voran will er Frauen ans Brett holen. «Weniger als fünf Prozent, die spielen, sind weiblich», sagt er. Dass sich die Damenwelt weniger fürs Schachspiel interessiert, liege möglicherweise daran, dass Mädchen in der Kindheit weniger als Buben zum Schachspiel ermutigt werden.
Er selbst entdeckte 2002 die Leidenschaft in seiner Studenten-WG in der Länggasse, ertrug es nicht, gegen seinen Mitbewohner zu verlieren. «Ich kaufte mir das Schachprogramm und nahm mir vor, bis Ende Jahr gegen ihn zu gewinnen. Darauf folgte Jahr für Jahr ein Kollege, bis keiner mehr mit mir mithalten konnte.» Damals fing er an, auf den Bärenplatz zu gehen und dort den erfahrenen Spielern zuzusehen, getraute sich aber lange nicht, selber zu spielen. «Bis mich einmal ein Erfahrener – weil gerade niemand anderes da war – herausforderte. Meine Beine haben gezittert», sagt Nguyen. Er zeigt auf seinen allerersten Gegner, der zufälligerweise gerade am Spielfeld steht: Sabit – sonnengegerbte Haut, stattlicher Körper – spielt laut pfeifend gegen einen grossmauligen Typen.
«Vom Strassenschach in den Club», titelte das Magazin des Schweizerischen Schachbundes, als Nguyen Ly 2014 sein erstes Turnier gleich gewann. Im Final spielte er gegen den 9-jährigen Igor, der heute ein Freund geworden sei und in der Junioren-Nationalmannschaft spielt. Das damalige Preisgeld nutzte Ly, um sein Velo abzuzahlen. Das ist seine andere Liebe und der Grund, warum er bei schönem Wetter nicht drinnen Schach spielen will. «Es ist eine Strafe für mich, drinnen zu sein, wenn die Sonne scheint. Dann gewinne oder verliere ich schnell», sagt er.

Überhaupt sei er ein aggressiver Spieler, und ein psychologischer dazu: Entdeckt er eine Marotte beim Gegner, so versucht er, diese zu nutzen. «Einmal spielte ich gegen einen Autisten, also versuchte ich, komische Züge zu spielen. Er wurde ganz nervös», erinnert sich Nguyen. Oder bei Kindern, die oft bereits ein grosses Schachwissen haben, versuche er sie mit unkonventionellen Zügen zu irritieren. «Meist kennen Kinder die Eröffnungen sehr gut, da finde ich es spannend, sie durcheinanderzubringen. Das gab schon Tränen.»
Auch für den Nachwuchs will er mehr tun. Einige Talentierte würden den Schachclub Bern verlassen, um in einer höheren Liga zu spielen. «Wir müssen Vorbilder haben, damit die Jungen weiter bei uns spielen wollen», sagt er. In der Region Bern gibt es rund 15 Schachclubs, in der Stadt sind der Schachclub Bern und Schwarz-Weiss die zwei grössten. In der bewegten Geschichte der Berner Schachclubs ging es nicht immer harmonisch zu, in der Juniorenabteilung würden aber bereits wieder Kooperationen stattfinden.
Durch die erfolgreiche Netflix-Serie «Damengambit» bekommt auch Lys Schachclub viele Anfragen. Auch Ly hat sich die Miniserie angeschaut. «Sie ist super produziert, die Fakten stimmen, auch weil die Filmer Schachprofis als Berater herbeigezogen haben», sagt Ly. Einzig beim Finale würde man in Realität nicht so schnell spielen, aber das sei der Dramatik der Serie geschuldet.
Derzeit hat der Schachclub Bern 150 Mitglieder. Dass die Anzahl nicht rückläufig ist, darüber freut sich der neue Präsident. Er will den Schachsport massentauglich machen, wobei auch die Serie helfe. «Schach soll von einer breiteren Masse gespielt werden. Dabei nehmen wir Leute als Ausbildner ins Boot, die Zeit haben», sagt er. Und meint damit nicht nur Rentner, sondern vielleicht auch IV-Bezüger, die Schach spielen und so eine spannende Beschäftigung finden.
Im Fanionteam des Schachclubs wird in der kommenden Saison mit Noël Studer einer der Besten spielen. Lena Georgescu, die derzeit beste Spielerin, hat von Bern über Luzern zu Winterthur gewechselt, weil sie dort höher spielen kann. «Ich nenne sie Lena national», sagt er. Und er ist sich nicht zu schade, sie anzuschreiben und zu einem Transfer zurück nach Bern zu bewegen.

Auch Ly will, sobald wieder Turniere stattfinden können, Anfänger geben. Anfänger ist hier am Bärenplatz keiner: Nguyen Ly wird sofort herausgefordert. Von Nessie. «Komm, wir spielen eine Blitzpartie», sagt Ly. Nach weniger als vier Minuten gibt er auf. «Ein anständiger Spieler weiss, wann er nicht mehr spielen sollte.» Doch die Revanche gegen Nessie, die fordert er sofort ein.
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Auch wir Schachspieler warten darauf, dass wir uns gegen "Corona" impfen können. Zum Glück haben wir zwar das Internet-Schach, doch erst wenn wir wieder zusammen am Schachbrett sitzen, macht's so richtig Spass!
Wir freuen uns auch wieder auf die Berner Schachmeisterschaft im Berner Generationenhaus direkt beim Bahnhof Bern. Informationen zum letzten durchgeführten Turnier und zur letzten Turnierausschreibung findet man unter "bernerschach". Wir hoffen, dass das Turnier nun endlich diesen Herbst gestartet werden kann.
Übrigens findet man dort auch alle Klubadressen der Schachklubs in der Region Bern. Schach macht Spass und stärkt unsere geistige Fitness vom Juniorenalter bis zu unserem "Tschüss" aus diesem Leben.