Vom Schwer- und Übergewicht
Italiens Serie A startet mit einer festen Gewissheit, einem schweren Fragezeichen – und dem unbeliebten Fanpass.
Von Oliver Meiler, Rom Zehn Kilogramm lasteten auf dem viel zu langen Sommer des Calcio. Mindestens zehn – und ein zentnerschweres Fragezeichen. Als Adriano Leite Ribeiro (28), einst eine muskelbepackte Wucht von einem Stürmer, im Römer Flughafen die Gepäckausgabe verliess und damit sein Comeback im hochbezahlten Fussballgeschäft gab, da fiel allen vor allem seine fleischliche Fülle auf: das doppelte Kinn, das volle Gesicht, die kaum verhehlte Wampe, über die sich ein zu enges T-Shirt spannte. Der Brasilianer hatte nach seinem Absturz in Mailand, wo er zuletzt öfter betrunken in Discos gesehen worden war als in den Farben von Inter, eine Weile in der Heimat gespielt. Nun ist er also zurück. Das Konditionsteam der AS Roma, seines neuen Vereins, quartierte ihn im Trainingszentrum Trigoria ein, um ihn rund um die Uhr im Auge zu behalten. In seinem Vertrag soll es eine Klausel geben, wonach die Roma den fragilen Star bei einem Rückfall entlassen könnte. Und Adriano verlor bald sechs Kilo, die Zeitungen jubelten, er selber sprach von einem wahr gewordenen Traum. Nun aber, kurz vor Saisonbeginn, soll er sich am Oberschenkel verletzt haben. Juves trotzige Rückmeldung Adrianos Parabel steht wie eine Metapher für den Zustand des Calcio. Er ist gerade schrecklich ausser Form, noch fett von alter Glorie. Die WM war ein Desaster. Keiner der Spieler vermochte zu verzaubern. Und jene, die es auch noch verdient gehabt hätten, nach Südafrika zu fahren, sind entweder reichlich betagt wie Totti und Del Piero oder schwer zu verwalten wie Balotelli oder Cassano. Und so überrascht es nicht, dass auch vor der neuen Saison jene Mannschaft als hoher, ja als sicherer Favorit auf die Meisterschaft gilt, die schon die letzten fünf Scudetti gewonnen hatte und keinen einzigen Italiener in der Startaufstellung zählt: der FC In-ternazionale aus Mailand – Meister, Cup-sieger, Titelhalter der Champions League. Das ist auch ohne José Mourinho so, den weggezogenen Trainer, der die Italiener stets genervt, aber auch unterhalten hat. Seinem Nachfolger Rafael Benitez liess er in seiner ureigenen Bescheidenheit ausrichten, dass er dank der hehren Vorarbeit keine Mühe haben sollte, mit diesem Team zu gewinnen. Tatsächlich gab es bei Inter keinen einzigen nennenswerten Wechsel. Dem Patron des Vereins, Massimo Moratti, warf man aber mangels anderer Argumente vor, er habe nur mit ausländischen Stars Erfolg, was ihn zu dieser bissigen Spitze verleitete: «Ich gewinne lieber mit einer multiethnischen Mannschaft, als dass ich die Spiele kaufe.» Totalumbau bei Juventus In Turin, bei Juventus, fühlte man sich unfair angegangen und an verbüsste Skandale gemahnt: «Früher konnte Moratti schon nie gut verlieren, nun sieht man, dass er auch nicht gut gewinnen kann», sagte John Elkann, ein Enkel Gianni Agnellis, der kürzlich die Geschicke der Fiat und von Juventus übernahm. Mit dieser verbalen Attacke ist die alte Rivalität der mächtigen Vereine im Norden und deren sogenanntes Derby d'Italia neu aufgelegt. Juve hofft, mit einem Totalumbau des Teams endlich wieder an frühere Zeiten anknüpfen zu können. Dafür mussten Diego, Cannavaro und Trézeguet gehen. Es kamen dafür viele hochgelobte Italie-ner: Bonucci, Pepe, Aquilani. Und der Serbe Milos Krasic von ZSKA Moskau. Fast 30 Millionen Euro liessen sich die Turiner die Renovation kosten. Kein italienischer Verein gab mehr aus. Die Roma und die AC Milan, zwei weitere mögliche Titelanwärter, schauten heuer ganz besonders aufs Budget – aus Not: Die Familie Sensi musste ihre Kon-trolle über den Vizemeister 2009 einer Bank abtreten – und Silvio Berlusconi, der Besitzer Milans, ficht noch immer einen teuren Rosenkrieg mit seiner baldigen Ex-Frau Veronica aus. Eine Extravaganz, so schien es zuletzt, würde sich Berlusconi nur leisten, wenn dafür Ibrahimovic von Barcelona nach Mailand wechseln würde. Der Mercato ist noch bis zum 31. August offen. Gespannt ist man einmal mehr auf die Leistungsstärke von Sampdoria Genua, von Palermo und Napoli, dem Überraschungstrio der vergangenen Saison. Leere Stadien, viel TV-Präsenz Viel zu reden gibt auch der neu einge-führte Fanpass – die «tessera del tifoso». Wer ein Saisonabonnement oder zu Auswärtsspielen seines Vereins fahren will, der braucht ihn. Doch den hartgesottenen Fans, zumal den gewaltbereiten Ultras, passt die Kontrolle überhaupt nicht. Sie vermuten darin – wohl nicht zu Unrecht – eine polizeiliche Fichierung. Viele weigerten sich deshalb, ihre Abos zu erneuern. Und so droht ein weiterer Aderlass in den bereits spärlich besetzten baufälligen Stadien. Dafür rüstet das Fernsehen auf. Die Pay-TV-Plattformen Sky und Mediaset Premium überbieten sich mit Sonderangeboten zum Saisonauftakt. Es soll Liveschaltungen in die Garderoben geben, noch mehr Hintergrund. Und mehr Fussball natürlich. Die Spieltage wurden weitergestückelt. Neben den zwei Samstagabendspielen gibt es neu auch eines kurz nach Sonntagmittag, was die katho-lische Kirche erzürnt, einige am Sonn-tagnachmittag wie gehabt um 15 Uhr, eines am Sonntagabend und noch eines am Montagabend. Das macht den gebotenen Calcio zwar noch nicht besser, aber es hält ihn finanziell am Leben. 1. Runde. Samstag: Udinese - Genoa, AS Roma - Cesena. – Sonntag: Bari - Juventus, Chievo Verona - Catania, Fiorentina - Napoli, Milan - Lecce, Palermo - Cagliari, Parma - Brescia, Sampdoria Genua - Lazio Rom. – Montag: Bologna - Inter Mailand. Noch nicht ganz fit: AS Romas Brasilianer Adriano. Foto: Imago
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