Verhaltensökonom erhält Nobelpreis für Wirtschaft
Logik inter ökonomischen Entscheidungen, Theorie zur «geistigen Buchhaltung» – Die Nobelpreis-Jury ehrt einen Forscher, der genau das untersucht.
Der US-Ökonom Richard H. Thaler hat für seine Forschungen zur Psychologie wirtschaftlicher Entscheidungen den Nobelpreis bekommen. Er habe die Wirtschaft menschlicher gemacht, erklärte die Königlich-Schwedische Wissenschaftsakademie am Montag in Stockholm.
Nicht so «logisch» und «vernünftig»
Thaler beschäftigte sich vor allem damit, dass viele Verhaltensweisen im Alltag nicht so «logisch» und «vernünftig» sind, wie man in seinem Fach lange annahm. Der Forscher habe so eine «Brücke zwischen der wirtschaftlichen und der psychologischen Analyse individueller Entscheidungsprozesse» geschlagen und ein neues Feld eröffnet.
Thaler lehrt derzeit an der Universität Chicago. «Er hat uns neue Einsichten darüber gegeben, wie die menschliche Psychologie Entscheidungsfindungen prägt», sagte Jury-Mitglied Peter Gardenfors.
Menschliche Ökonomie
Der 72-Jährige habe gezeigt, dass begrenzte Rationalität, soziale Vorlieben und mangelnde Selbstbeherrschung Entscheidungen und Marktergebnisse prägen können. «Ökonomen sind menschlich», betonte Thaler nach der Preisverkündung in einem Telefongespräch mit der Akademie. «Wirtschaftliche Modelle müssen das berücksichtigen.»
Der Vorsitzende des Preiskomitees, Per Stromberg, hob die zentralen Beiträge Thalers zu seinem Forschungsbereich hervor: «Richard Thaler ist ein Pionier, wenn es darum geht, Erkenntnisse aus der Psychologie in die ökonomische Analyse einzubauen. Für vier Jahrzehnte hat er sowohl Theorien und Modelle wie auch Experimente, Tests und Umfragen verwendet, um zu analysieren, wie spezifische Aspekte der Psychologie systematisch wirtschaftliche Entscheidungen beeinflussen.»
Wert und Besitz
Der Wissenschaftler entwickelte unter anderem die Theorie zur «geistigen Buchhaltung» und erklärte, wie Menschen in Gedanken finanzielle Entscheidungen vereinfachen. Er zeigte zudem, warum man Dinge oft als wertvoller betrachtet, wenn man sie selbst besitzt.
Der im US-Bundesstaat New Jersey geborene Ökonom nahm sich ausserdem Neujahrs-Vorsätze vor – und untersuchte, warum diese oft zum Scheitern verurteilt sind. Die gleiche mangelnde Selbstdisziplin mache es vielen schwierig, für das Alter zu sparen, fand er heraus.
Taxifahrer-Paradoxon
In der Fachwelt erhielt die Akademie für ihre Entscheidung Beifall. «Richard Thalers Forschung ist hochaktuell und bietet nicht nur neue Einsichten, sondern auch praktische Lebenshilfen», sagte der Präsident de Ifo-Instituts, Clemens Fuest. «Er hat in seiner Forschung gezeigt, dass Menschen häufig nicht vollständig rational handeln, sondern eher einfachen Entscheidungsregeln folgen.»
Als Beispiel nannte Fuest einen Taxifahrer, der als generelle Regel so lange fährt, bis er einen bestimmten Umsatz erreicht an. An Tagen mit hoher Nachfrage höre er früher auf, an Tagen mit schwacher Nachfrage dagegen später. «Wenn viele Fahrgäste gerne ein Taxi hätten, wird das Angebot verknappt, und wenn wenige Gäste da sind, steigt das Angebot», erklärte Fuest. «Genau das Gegenteil wäre notwendig.»
Eigentlich gar kein Nobelpreis
Mit seiner Arbeit hat es Thaler bis nach Hollywood geschafft. In dem Film «The Big Short» – in dem es um das Entstehen der Finanzkrise 2007/08 geht – spielte Thaler in einem Kurzauftritt sich selbst. Gemeinsam mit Selena Gomez erklärt er dabei in einem Spielcasino, wie das Geschäft mit synthetischen «Collateralized Debt Obligations» (CDO) die Finanzkrise befeuerte, die die Weltwirtschaft in ihre schwerste Rezession seit Ende des Zweiten Weltkriegs stürzte.
Der Wirtschafts-Preis gehört nicht zu den traditionellen Nobelpreisen, die ihren Ursprung im Testament des Dynamit-Erfinders Alfred Nobel haben. Die schwedische Reichsbank stiftete ihn 1968 nachträglich, offiziell heisst er «Preis der schwedischen Reichsbank für Wirtschaftswissenschaften zum Andenken an Alfred Nobel». In der Wirtschaftswelt hat er dennoch die Stellung eines Nobelpreises.
Nur eine Frau
Seit der ersten Preisvergabe 1969 hat die Königlich-Schwedische Wissenschaftsakademie vor allem US-Ökonomen ausgezeichnet. Im vergangenen Jahr waren der Amerikaner Oliver Hart und der Finne Bengt Holmström, die beide in den USA lehren, für Forschungen zu Vertrags-Konstruktionen etwa von Top-Managern geehrt worden.
In die Schweiz ging der Preis bisher noch nie, nach Deutschland ein Mal. 1994 zeichnete das Nobelkomitee den Bonner Spieltheoretiker Reinhard Selten aus. Zudem wurde die Ehre bis heute nur einer Frau zuteil: 2006 bekam die US-Umweltökonomin Elinor Ostrom den Wirtschafts-Nobelpreis.
Verleihung am Todestag
Die mit neun Millionen schwedischen Kronen (rund eine Million Franken) dotierte Auszeichnung wird zusammen mit den klassischen Nobelpreisen für Medizin, Physik, Chemie, Literatur und Frieden am 10. Dezember verliehen – dem Todestag von Stifter Nobel.
In der vergangenen Woche waren bereits die Träger der klassischen Nobelpreise für Literatur, Frieden, Medizin, Physik und Chemie verkündet worden. Letzter ging auch an einen Schweizer. Jacques Dubochet erhielt den Nobelpreis für die Entwicklung der Kryoelektronenmikroskopie, zusammen mit zwei Kollegen aus den USA und Grossbritannien.
SDA/oli
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