Ton, Geräusch, Stille
Der amerikanische Tonkünstler John Cage kam am 5. September vor 100 Jahren auf die Welt. Er hat grossen Einfluss auf ganze Generationen von Komponisten ausgeübt.

Ton und Geräusch – diese Unterscheidung wollte der gebürtige Kalifornier, der 1992 in New York starb, nicht gelten lassen. Cage wollte Musik als die Summe all dessen begreifen, was sich innerhalb eines bestimmten Zeitraums hören lässt; dazu gehörte für ihn nicht zuletzt auch die Stille.
So wurde «4 Minuten 33 Sekunden» (1951), sein «dreisätziges Schweigestück», Cages bekanntestes Werk. Mit wissenschaftlicher Akribie lotete er die Grenzen der Komposition und der Tonerzeugung aus – um im hohen Alter schliesslich zu einem klassischen Ideal zurückzukehren: «Eine wunderschöne Musik zu schreiben».
Zunächst aber löste sich der Komponist auf der Suche nach seinem eigenen Weg von allem Tradierten. Dabei liess er auch Vorbilder wie Arnold Schönberg hinter sich, bei dem er zwischen 1934 und 1937 das kontrapunktische Rüstzeug der Wiener Schule erlernte.
Der Exilösterreicher hatte den Sohn des Erfinders Milton Cage als Schüler angenommen, obgleich dieser ihn nicht bezahlen konnte. Im Gegenzug musste Cage ihm geloben, «sein Leben der Musik zu widmen».
Schritt für Schritt entfernte sich Cage dabei von der Zwölftonmusik seines Meisters und besann sich seiner eigenen Wurzeln: «Mein Vater war ein Erfinder. Wenn ich es kann, dann erlebe ich mit jedem neuen Stück so etwas wie eine Entdeckung.» 1941 wurde Cage als Professor für experimentelle Musik an die Chicago School of Design berufen.
Muster von Sternkarten
Eifrig bediente sich dieser zu diesem Zeitpunkt schon in der Instrumentenkiste des 20. Jahrhunderts. 1939 entstand etwa das Stück «The Imaginary Landscape No.1», das als eine der ersten elektronischen Kompositionen gilt. Dafür versah er die Klaviersaiten mit Gummibändern oder Kupfermünzen.
Diese präparierten Instrumente wurden sein Steckenpferd. Später kamen Geräusche hinzu, etwa ein Küchenmixer in dem Stück «O'O» (1962). Und nicht zuletzt wurde Cage, der auch als einer der Mentoren der Kunstrichtung Fluxus galt, ab 1967 zu einem der Pioniere im Einsatz des Computers in der Musiklandschaft.
Dem Zen-Buddhismus folgend, der zur Befreiung von allem materiellen Streben rät, setzte sich Cage nicht mit Bleistift an Klavier und Notenblock, sondern überliess die Struktur seiner Kompositionen dem Muster von Sternkarten, Holzmaserungen, Computerprogrammen oder der Eigenart der mit ihm Musizierenden.
Grundsätzliche Fragen
Cage strebte an, die Barriere zwischen Kunst und Leben zu durchbrechen. Aus diesem Anspruch erklärt sich auch der enorme Einfluss des heute ungeachtet aller Bekanntheit wenig gespielten Tonwerkers, zumal er damit Komponisten wie Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen oder György Ligeti beeindruckte.
Dem Cage'schen Streben, das eigene Leben zu einem Gesamtkunstwerk zu transformieren, konnte und wollte jedoch kaum einer der Apologeten folgen. Seinen kongenialen Lebenspartner fand Cage darin im 2009 verstorbenen Choreografen Merce Cunningham. Über 50 Jahre lang arbeiteten die beiden in zahlreichen Projekten gemeinsam.
Die Bedeutung John Cages bemisst sich heute allerdings weniger an den konkreten Werken, die von ihm überliefert sind. Sie schöpft vielmehr aus den grundsätzlichen Fragen nach Freiheit und Disziplin, Beliebigkeit und Zufall, Kunst und Leben, Gesellschaft, Individuum und Utopie, die der Künstler-Philosoph aufwarf.
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