Thun ruft den Klimanotstand aus
Blosse Symbolpolitik oder Anerkennung einer Notlage? Der Thuner Stadtrat debattierte am Donnerstagabend leidenschaftlich über die Ausrufung des Klimanotstands, der er letztlich mit komfortablem Mehr zustimmte.

34,4° Celsius betrug die Aussentemperatur am Donnerstag um 18 Uhr in Thun, als das Ortsparlament im abgedunkelten Stadtratssaal begann, über das Klima zu debattieren. Auf den Tischen aller Parlamentarier standen zwei Wasserflaschen; üblicherweise ist es eine. Die Bedingungen waren jedoch nicht nur wörtlich, sondern auch sprichwörtlich heiss.
Aber der Reihe nach: Vorerst gratulierte Stadtpräsident Raphael Lanz (SVP) der Jugend zur Einreichung der allerersten Jugendmotion in der Geschichte Thuns (wir berichteten). Stellvertretend für die Klimaschutzbewegung waren Linus Dolder und Lea Schütz anwesend. Sie forderten in ihrem Vorstoss die Ausrufung des Klimanotstands durch den Gemeinderat und, in abgeschwächter Form als Postulat, dass die Stadt bis 2030 klimaneutral werde.
Juristinnen sind sich uneinig
«Unsere Lebensgrundlagen werden zerstört», sagte Schütz. Deshalb müsse auch die Stadt Thun ihren Beitrag gegen die drohende Katastrophe leisten. Und Dolder meinte: «Tausende Wissenschaftler haben den Klimawandel mittlerweile bestätigt und gesagt, dass es bereits 5 nach 12 ist.» Weil diese Fakten nach wie vor nicht von allen anerkannt würden, sei es wichtig, dass die Thuner Regierung mit der Ausrufung des Klimanotstands ein Zeichen setze.
Lob für ihren Mut und ihr Engagement erhielten die Jugendlichen von allen Fraktionen. Support für das Anliegen gab es dann jedoch vor allem von links und aus der Mitte. Marc Barben (Grüne/JG) etwa sprach von einem «ungemein wichtigen Thema». Er störte sich daran, dass der Gemeinderat den Vorstoss als «nicht motionsfähig» bezeichnete (vgl. gestrige Ausgabe) und im Klimawandel keine unmittelbare Bedrohung sieht. «Das Klima reagiert träge auf unser Handeln. Die Auswirkungen kommen verzögert, aber trotzdem direkt.»
Überdies stiess sich Barben an der «schulmeisterlichen» Antwort an die Jugendlichen. Die «schulmeisterliche Behandlung» kritisierte auch Susanna Ernst (FDP). Sie plädierte indes dafür, das Problem auf nationaler und internationaler, nicht aber auf kommunaler Ebene anzugehen. «Sonst endet es so wie in Bern, wo die Stadtregierung nach der Ausrufung des Notstands nun nicht einmal mehr den Flughafen Belp unterstützen will.»
Nicole Krenger (GLP/BDP) votierte für die Motion, weil damit auch ein Zeichen an die Bevölkerung abgegeben werde. «Als Juristin sehe ich zudem durchaus einen Unterschied zwischen den Begriffen ‹Notstand› und ‹Klimanotstand›», so Krenger. Bei Letzterem gehe es insbesondere um einen Auftrag zu informieren, zu sensibilisieren und dem Umstand Klimawandel im Alltag generell mehr Rechnung zu tragen.
Damit nicht einverstanden war mit Eveline Salzmann (SVP) eine weitere Juristin: «Es stimmt nicht, dass jenen, die den Notstand nicht ausrufen wollen, das Klima egal ist.» Nur weil die SVP hier anderer Meinung sei, heisse nicht, dass sie die Anliegen der Jugend nicht ernst nehmen würde. Parteikollege Peter Aegerter wiederum fand die Forderung juristisch unhaltbar: «Es ist ein offensichtlicher Missbrauch des Begriffs.» Auch Philipp Deriaz (SVP) redete seinen Ratskolleginnen und -kollegen ob des absehbaren Ja noch einmal ins Gewissen. «Das ist nicht seriös. Was versprecht ihr euch davon? Es wird danach gar nichts passieren», sagte er. Jonas Baumann-Fuchs (EVP/EDU/CVP) fand dagegen, dass sprachliche und juristische Finessen nur von der Sache ablenken würden: «Auch uns geht es zu wenig rasch voran. Wir wollen nun konkrete Schritte.»
Nur SVP und FDP dagegen
Vor der Abstimmung räumte der Stapi ein, dass die Ausführungen des Gemeinderats wohl nicht alle befriedigt hätten. Er verwehrte sich aber gegen den Vorwurf, die Jugendlichen schulmeisterlich behandelt zu haben: «Wir haben auf Augenhöhe diskutiert und das Anliegen ernst genommen. Wir sind nur nicht zu denselben Schlüssen gekommen.» Tätig bleiben in Sachen Klimaschutz werde der Gemeinderat so oder so – auch ohne die Sonderrechte, die ein Notstand der Regierung per Definition einräumen würde.
Ohne die Stimmen von SVP und FDP wurde die Motion letztlich mit 20 zu 13 bei 2 Enthaltungen gutgeheissen. Das Postulat mit dem Prüfauftrag für eine klimaneutrale Stadt Thun bis 2030 nahm der Rat anschliessend mit 23 zu 12 Stimmen an. Trotz der vorwiegend symbolischen Bedeutung meinte Motionär Linus Dolder gegen Ende der Diskussion: «Der Klimanotstand ist nicht einfach nichts wert.»
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