Kontroverse um Beznau I Streit um AKW-Sicherheit: Deutsche Experten schlagen zurück
Ist Beznau sicher? Eine deutsche Studie sät Zweifel. Die Atomaufsicht des Bundes hat die Arbeit zerzaust. Nun kontern deren Autoren; sie räumen aber auch Fehler ein.

Er ist das Herzstück des Atomkraftwerks Beznau I: der Reaktordruckbehälter. In ihm läuft die nukleare Kettenreaktion ab; er darf keinesfalls versagen. Die grosse Bedeutung dieses Elements mag erklären, warum um seinen Zustand seit Jahren eine Kontroverse läuft.
Nun wächst der Disput um ein weiteres Kapitel. Das deutsche Öko-Institut bekräftigt seine Zweifel an der Sicherheit des Atomkraftwerks, das mit Jahrgang 1969 zu den ältesten Reaktoren weltweit gehört. Das zeigt eine noch unveröffentlichte Replik, die dieser Zeitung vorliegt.
Das Öko-Institut reagiert damit auf eine «Richtigstellung», welche die Schweizer Atomaufsicht Ensi Anfang Juni veröffentlicht hat. Das Ensi hatte «grobe Fehler» in einer Studie zu Beznau I gefunden, die das Öko-Institut letztes Jahr im Auftrag der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES) und Greenpeace verfasst hatte.

Die Studie untersuchte die Frage, ob der Stromkonzern Axpo Beznau sicher betreiben kann. 2015 wurden im Stahl des Reaktordruckbehälters Materialfehler entdeckt, Einschlüsse aus Aluminiumoxid. In der Folge musste die Axpo eine Replika bauen lassen, da sie vom Reaktordruckbehälter keine ausreichend repräsentativen Materialproben hatte – eine Weltpremiere.
Nach drei Jahren Stillstand schliesslich durfte Beznau I 2018 wieder ans Netz. Die Axpo hatte dargelegt, dass die gefundenen Einschlüsse die Sicherheit nicht beeinträchtigen würden – ein Nachweis, den das Ensi und ein internationales Expertengremium akzeptierten, der von den Atomgegnern aber bis heute angezweifelt wird.
«Aus dem Zusammenhang gerissen»
Das Öko-Institut seinerseits spart nun auch nicht mit Kritik am Ensi. Es verwahrt sich gegen den Vorwurf, «die Ehrlichkeit aller am Sicherheitsnachweis Beteiligten» infrage gestellt zu haben: «Wir sehen keinen Grund», dies zu tun oder getan zu haben. Auch habe das Ensi, bemängelt das Öko-Institut weiter, Aussagen aus seiner Studie teils «aus dem Zusammenhang gerissen und verallgemeinert», letztlich also falsch wiedergegeben.
So schrieb das Ensi zum Beispiel: «Das Öko-Institut negiert pauschal die Aussagekraft aller Materialuntersuchungen mit Replika-Material.» Das Öko-Institut stellt dies in Abrede. Die aus den Materialuntersuchungen abgeleiteten Aussagen seien aber mit Unsicherheiten verbunden.
Die Studie ist nicht fehlerfrei, wie das Öko-Institut nun selber einräumt.
Der Streit dreht sich um fachlich komplexe Fragen. Wer recht hat, ist für die breite Öffentlichkeit kaum nachvollziehbar. Machen Atomgegner Stimmung? Schützt die Atomaufsicht des Bundes die AKW-Betreiber?
Sicher ist indes: Die Studie ist nicht fehlerfrei, wie das Öko-Institut nun selbst einräumt. So gibt es keine Magnesiumsulfit-Einschlüsse im Reaktordruckbehälter, wie es die deutschen Fachleute ausgewiesen hatten. Wie es zu diesem Fehler gekommen ist, ist für das Öko-Institut «nicht mehr nachvollziehbar».
Das Ensi habe «richtigerweise auf diesen Fehler hingewiesen». Unter anderem dieses Lapsus wegen kam das Ensi zum Schluss, die Studie eigne sich «in keiner Weise», die Sicherheit von Beznau I zu beurteilen. (Lesen Sie hier, wieso der oberste Atomaufseher Ende Juni von Ensi zurücktrat.)
Transparenz gefordert
Dieser Punkt, so entgegnet das Öko-Institut, sei aber ohnehin nicht zentral. Entscheidend ist aus Sicht der deutschen Fachleute anderes. Strittig ist, ob die Ergebnisse der Replika zum Materialverhalten mit Aluminiumoxid-Einschlüssen auf den Reaktordruckbehälter übertragbar sind, ob also der Sicherheitsnachweis überhaupt seriös durchführbar ist.
Diese Frage bleibt aus Sicht der deutschen Fachleute unbeantwortet. Ebenso, wie stark das Originalmaterial des Reaktordruckbehälters durch die Strahlung bereits versprödet und wie gross die Sicherheitsmarge bei einem Störfall ist.
«Nur die Antworten auf diese Fragen geben Aufschluss darüber, wie gross die Risiken des Weiterbetriebs von Beznau I sind», sagt Simon Banholzer von der Schweizerischen Energie-Stiftung. Doch wichtige technische Unterlagen seien nach wie vor unter Verschluss. Die Energie-Stiftung erneuert deshalb ihre Forderung, die offenen Fragen zu beantworten, und verlangt in Zukunft einen «transparenteren Umgang» mit Problemen der weiterlaufenden Atomkraftwerke.
Das Ensi entgegnet, es habe in der Causa Beznau I «genügend Informationen zugänglich gemacht, damit der Sicherheitsnachweis der Axpo nachvollzogen werden kann». Gegen die Veröffentlichung der gesamten Unterlagen spreche sowohl nationales als auch internationales Recht. Auf die Replik des Öko-Instituts geht das Ensi nicht ein. Warum die Kritik der deutschen Experten nicht haltbar sei, so das Ensi, habe es bereits «umfassend dargestellt».
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