Im Zweifel für die Freude
Im Vorfeld der 23. Winterspiele, die am Freitagmittag eröffnet werden, dominierten Doping-Schlagzeilen. Betrügende Sportler aber sind nur eine Facette dieses vielschichtigen Events.

Die erste Entscheidung ist vor dem Beginn dieser Winterspiele bereits gefallen: Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, ist der grosse Verlierer. Es ist dem obersten Olympier und seiner Strategie im Umgang mit den dopenden Russen anzulasten, dass diese Spiele einen Fehlstart erfuhren.
Selbst heute, am Tag der Eröffnungsfeier, entschied der Internationale Sportgerichtshof (CAS) noch, dass er klagende russische Athleten in Südkorea nicht zulässt. Thomas Bach kritisierte die Institution in den Tagen zuvor und nach Urteilen gegen das IOK. Im Stil eines schlechten Verlierers räsonierte Bach, ob der CAS nicht reformiert gehöre – zum Schutz aller ehrlichen Athleten.
Dabei war es der Superfunktionär mit seinem Kurs, russischen Sportlern im Einzelverfahren den Dopingmissbrauch nachzuweisen, der zu dieser chaotischen Situation geführt hatte. Bach hätte das russische Team auch ausschliessen können, bloss lehnte er «diese Kollektivstrafe», wie er sie bezeichnet, stets ab.
Der einsame Kritiker
Trotzdem wird er sich für den peinlichen Eindruck, den das IOK in den letzten Tagen unter ihm hinterliess, nicht rechtfertigen müssen: Es braucht meist eine riesige persönliche Verfehlung, damit ein Funktionär seines Formats von der Spitze gekippt wird.
Zumal ihm sowohl seine Exekutive als auch die Legislative treu ergeben sind. Am IOK-Kongress von dieser Woche wagte einzig Richard Pound Widerspruch. Der Kanadier, Gründungspräsident der Welt-Anti-Doping-Agentur, befindet sich mit seinen 75 Jahren allerdings im finalen Funktionärszyklus. Da hat er ohnehin auf niemanden mehr Rücksicht zu nehmen. Wenigstens Bachs Kritik gegenüber dem CAS aber hätten die vielen anderen Olympier hinterfragen müssen. Zumal ihnen Bach gar eine Vorlage lieferte: Der Jurist hatte über viele Jahre die entsprechende Kommission des IOK geführt und war phasenweise Chef der Berufungskammer des CAS. Indirekt kritisierte sich Bach mit seiner Kritik also selber. Dabei sorgten erst er und seine Getreuen mit ihrem Kurs dafür, dass die Russen in den vergangenen Tagen noch ihren letzten mutmasslichen Doper an diese Spiele klagen wollten.
Der Fan muss Doping schon aushalten, will er die Spiele weiter mit Leidenschaft verfolgen.
Insofern handelten die Russen konsequent und bloss als Fürsprecher ihrer Athleten. Dass sie damit für viele ausserhalb von Russland kein bisschen glaubwürdiger geworden sind, versteht sich auch: Denn der systematische Betrug in den Jahren 2011 bis 2015 ist gar vom Sportgericht bestätigt: Als der Internationale Leichtathletik-Verband seinen russischen Zweig von den Olympischen Spielen 2016 ausschloss und dieser vor den CAS zog, bestätigten die Juristen den Ausschluss.
Thomas Bach dagegen will die Russen bei der Abschlussfeier allenfalls als offizielles Nationenteam verabschieden. Hält er daran fest, wäre ihm nur eines zu wünschen: mehr Einsicht, dass er der falsche Mann für diese viel beobachtete und zentrale Position im Weltsport ist – sofern dieser Weltsport und mit ihm das IOK wieder ein wenig an Glaubwürdigkeit zulegen wollen.
Trotz aller Doping-News der letzten Wochen, die berechtigt und wichtig waren, muss man festhalten: Betrüger sind zwar Bestandteil des (olympischen) Sports. Sie verkörpern aber nur eine Facette dieses vielschichtigen Events.
Dazu zählt der mediale Umgang mit ihnen im Vorfeld: Weil die Wettkämpfe erst kommen, konzentrieren sich die Journalisten auf Erzählbares. Da sind Dopingfälle natürlich sehr willkommen. Fehlen sie wie vor anderen Spielen, berichtet man gerne von nicht fertiggestellten Hotels oder drohendem Verkehrschaos. Sie gehören damit ebenfalls zum Inventar von Spielen, diesem ewigen Bauwerk.
Das Feuer brennt, das Herz auch
Sobald das olympische Feuer zu brennen beginnt, werden diese Aspekte wie von Zauberhand gelöscht. Dann werden viele zu kleinen bis grossen Chauvinisten mit dem steten Blick auf den Medaillenspiegel und der Freude daran, die Eigenen glänzen zu sehen. Dagegen ist im Prinzip wenig einzuwenden. Denn bei aller Sorge um die Reinheit der Leistungen sollte man sich das grosse Bild vor Augen halten: 102 Medaillensätze werden in den kommenden Tagen vergeben. Selbst wenn also sämtliche Podestplätze von Dopern belegt würden, machten sie bei knapp 3000 Athleten «bloss» 10 Prozent aus. Natürlich handelte es sich bei ihnen nicht um unbedeutende Adabeis. Die Fokussierung auf die Besten allerdings vernebelt gerade den Blick, um was es an Spielen für viele Teilnehmer – und Zuschauer vor Ort und am Fernsehen – auch geht: den Spass am Wetteifern und die kleinen bis grossen Emotionen. Der unsägliche Olympiaslogan «höher, schneller, weiter» hat in dieser Gedankenwelt keinen Raum.Das Gift ist eingelagert
Darum wird die Freude am Sport die steten und berechtigten Zweifel auch überlagern. Oder muss sich jeder aktuelle Sportfan als naiver Applaudierer von Medikamenten-Wettkämpfen verhöhnen lassen? Ist jeder kindisch, der weiter mit einem Dario Cologna fiebert, Lara Gut die Daumen drückt oder beim Abfahrtsritt von Beat Feuz gar feuchte Hände kriegt?
Natürlich nicht. Die unbeschwerten Jahre des Sportschauens aber sind ebenfalls vorbei. Das Gift des Zweifels hat sich im modernen Fan, von den Hardcore-Anhängern einmal abgesehen, eingelagert. Er muss dieses Gift schon aushalten, will er die Spiele weiter mit Leidenschaft verfolgen.
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