Streit um künftige KlimapolitikSollen Bündner gleich schnell CO2-frei werden wie Zürcher?
Separate Bundesgelder sollen den Berg- und Randregionen helfen, die Klimaziele zu erreichen. Das fordert Nationalrat Jon Pult kurz vor der Parlamentsdebatte über die Gletscherinitiative. Sein Antrag kommt spät – und ist umstritten.

Mit dem Subaru ins Bergdorf, mit dem Tram ins Stadtzentrum: Soll das Leben der Bündner gleich schnell fossilfrei werden wie jenes der Stadtzürcher? Wenn der Nationalrat ab Mittwoch über die Gletscherinitiative berät, wird es auch um verschiedene Alltagsrealitäten gehen – wie schon beim CO2-Gesetz im letzten Juni. Die Vorlage fand in der Bevölkerung keine Mehrheit, unter anderem weil Heizen und Autofahren teurer geworden wären. Die ländliche Schweiz siegte über die urbane.
Nicht zuletzt deshalb «berücksichtigt» der Bundesrat bei seiner künftigen Klimapolitik die «Situation der Berg- und Randgebiete» eigens; so steht es in seinem direkten Gegenentwurf zur Gletscherinitiative. Das Volksbegehren verlangt, dass die Schweiz ab 2050 nicht mehr Treibhausgase ausstossen soll, als natürliche und technische CO2-Speicher aufnehmen können. Der Bundesrat teilt das Anliegen im Grundsatz, er will die Nutzung fossiler Energie aber nur «so weit vermindern, als es wirtschaftlich tragbar ist». Und eben: Er schafft Raum für Ausnahmen für die Berg- und Randregionen. Er begründet dies unter anderem damit, dass diese Gebiete mit dem öffentlichen Verkehr weniger gut als städtische erschlossen seien.
Die vorberatende Umweltkommission des Nationalrats hat diesen Passus gutgeheissen, Gegenanträge liegen nicht vor. Kurz vor dem Start der Debatte reicht nun aber Jon Pult (SP) einen Einzelantrag ein, wie er bestätigt. Statt dass der Bund die Situation der Berg- und Randgebiete «berücksichtigt», wie es der Bundesrat vorschlägt, soll er diese Regionen explizit «unterstützen» – für Pult mehr als eine semantische Nuance. Es stimme zwar, dass die Berg- und Randregionen vor einer besonderen Herausforderung stünden, sagt der Bündner Nationalrat und Präsident des Vereins Alpen-Initiative. «Es darf aber nicht sein, dass ihre Bewohner gar nicht oder erst später ein fossilfreies Leben führen.» Vielmehr solle der Bund ihnen bei der Entwicklung hin zu einer klimaneutralen Gesellschaft und Wirtschaft helfen.
Im Klartext: Der Bund soll für diese Regionen zusätzliche finanzielle Mittel bereitstellen. Wie, möchte Pult offenlassen. Eine Möglichkeit wäre für ihn aber jener Topf, den SP und Grüne mit ihrer Klimafonds-Initiative äufnen möchten. Das Volksbegehren, das sie planen, will den Bund verpflichten, in Zukunft zwischen einem halben und einem Prozent des BIP einzusetzen, um Investitionen in den Klimaschutz zu finanzieren, also circa 3,5 bis 7 Milliarden Franken pro Jahr.
«Es wirkt so, als wolle sich die SP nun plötzlich gross als Vertreterin der Berggebiete aufspielen.»
Der Vorschlag ist umstritten. Nicolo Paganini (Die Mitte) findet wie der Bundesrat, es brauche Rücksichtnahme auf die Berg- und Randgebiete. «Einen expliziten Subventionierungstatbestand sehe ich aber eher nicht.» Anders tönt es vom Bündner Parteikollegen Martin Candinas. «Als Vertreter der Bergregionen kann ich nichts gegen diesen Antrag haben.» Er frage sich aber, warum Pult die Idee nicht über einen der SP-Vertreter in der Umweltkommission eingebracht habe. «So wirkt es so, als wolle sich die SP nun plötzlich gross als Vertreterin der Berggebiete aufspielen.»
Pult entgegnet, es gehe ihm rein um die Sache. Die Alpeninitiative habe diesen Vorschlag bereits bei der Vernehmlassung eingespeist. Die Kommission habe in den Beratungen aber «andere Prioritäten» gehabt, die Diskussion sei anders verlaufen. Die Fraktion werde seinen Antrag aber unterstützen.
Viel Raum für Taktierereien
Der Streit um den Passus zeigt exemplarisch, dass die Klimapolitik nach dem Nein zum CO2-Gesetz nicht einfacher geworden ist. Im Gegenteil. Parallel zur Diskussion über die Gletscherinitiative und einen direkten Gegenvorschlag arbeitet die nationalrätliche Umweltkommission an einem indirekten Gegenvorschlag, also einem Gegenentwurf auf Gesetzesstufe. Erste Umrisse sind bereits erkennbar, der Nationalrat soll im Sommer darüber befinden.
Viel Stoff also für Politstrategen. Sicher ist: Die Initianten werden ihr Begehren nicht zurückzuziehen, wenn sich das Parlament nicht auf einen Gegenvorschlag verständigt, der im Minimum das Netto-null-Ziel 2050 aufnimmt und den Weg dorthin klar festlegt «im Sinne eines mindestens linearen Absenkpfades für die Treibhausgasemissionen». Was das im Detail bedeutet, dazu äussern sich die Initianten nicht, ihr Begehren wollen sie bis auf weiteres als Druckmittel einsetzen. Sophie Fürst, Geschäftsleiterin des Vereins Klimaschutz, sagt aber: «Aufgrund der Dringlichkeit der Klimakrise begrüssen wir einen indirekten Gegenvorschlag, da dieser schneller umsetzbar wäre.»
Noch unklar ist, ob der direkte Gegenvorschlag im Parlament mehrheitsfähig ist. SVP-Vertreter sind dagegen, die Grünen ebenso, weil sie darin – anders als in der Initiative – «keinen Mehrwert» sehen, wie Bastien Girod sagt. Dies gelte erst recht, wenn der lineare Absenkpfad – wie es die Mehrheit der nationalrätlichen Umweltkommission vorsieht – nicht Teil des direkten Gegenvorschlags sei. Zusammen kommen die beiden Fraktionen im Nationalrat auf 85 der 200 Sitze. Stimmen sie geschlossen, braucht es nicht allzu viele Abweichler aus anderen Parteien, um einen direkten Gegenvorschlag zu verhindern. Zumindest fürs Erste. Das Geschäft kommt als Nächstes in den Ständerat.
Stefan Häne ist Redaktor im Ressort Inland. Er schreibt und recherchiert zum aktuellen Politgeschehen in der Schweiz.
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