First Lady der UkraineVon der Drehbuchautorin zur Mutmacherin der Nation
Olena Selenska war einst gegen die politische Karriere Wolodimir Selenskis – heute sieht sie sich als Vermittlerin und wendet sich aus ihrem Versteck an die Ukrainer und Ukrainerinnen.

Seit dem Einmarsch der russischen Truppen am vergangenen Donnerstag blickt die Welt auf den ukrainischen Präsidenten – Wolodimir Selenski, einstiger Schauspieler und Komiker, wird auf Social Media wegen seines unerschütterlichen Kampfgeistes regelrecht als Held gefeiert. So marschiert Selenski täglich durch die Strassen Kiews, wendet sich in emotionalen Reden an die ukrainische und die russische Bevölkerung oder ans Europaparlament. Doch mit seinem erbitterten Widerstand ist nicht nur Selenski unweigerlich zum Gejagten Putins geworden, sondern auch seine Familie.
«Nach unseren Informationen bin ich das Hauptziel, meine Familie gilt als Ziel Nummer zwei», sagte der ukrainische Präsident mehrfach in Videobotschaften und Telefonaten mit anderen Staatschefs. Seine Frau Olena Selenska und seine Kinder, die 17-jährige Oleksandra und der 9-jährige Kirilo, habe er seit Tagen nicht mehr gesehen, wie er am Dienstag gegenüber CNN sagte. Sie müssten sich an einem geheimen Ort verstecken. Denn nicht nur Selenski lehnte das Angebot der US-Regierung ab, ihn zu evakuieren – auch seine Familie bleibt in der Ukraine, um ihr Land zu unterstützen.
Selenska wendet sich an ihr Volk
So weiss Olena Selenska wie auch ihr Mann die Macht von Social Media zu nutzen und richtete sich kurz nach der Invasion der russischen Truppen auf ihrem Instagram-Kanal mit bestärkenden Worten an ihr Volk. «Mein liebes Volk, Ukrainer! Ich schaue euch heute alle an: alle, die ich im Fernsehen, auf den Strassen und im Internet sehe. Ich sehe eure Posts und Videos. Und wisst ihr was? Ihr seid unglaublich. Ich bin stolz darauf, mit euch und im selben Land zu leben», schreibt die 44-Jährige. «Heute werde ich keine Panik haben und keine Tränen vergiessen. Ich werde ruhig und zuversichtlich sein. Meine Kinder schauen mich an, ich werde neben ihnen sein und neben meinem Mann und mit dir. Ich liebe dich! Ich liebe die Ukraine!»
Wie ihr Mann hat auch Selenska einen ungewöhnlichen Weg aus der Entertainment-Branche zur First Lady des Landes hinter sich. Die Ukrainerin wurde 1978, wie auch ihr künftiger Ehemann, in der Stadt Krywyi Rih geboren. Die beiden gingen sogar zur selben Schule, lernten sich aber erst beim Studium an der Krywyi Rih National University kennen und lieben.

Sie träumte davon, Architektin zu werden, studierte hier eigentlich Bauingenieurwesen – bis sie ihre Leidenschaft zum Schreiben entdeckte. Dann begann Selenska für die Comedy-Gruppe ihres Freundes Wolodimir zu schreiben, mit der ihm der Durchbruch gelang. Währenddessen arbeitete die 44-Jährige als Produzentin und Drehbuchautorin für die von Selenski gegründete Produktionsfirma.
Sie wollte nie in die Öffentlichkeit
Nach der Hochzeit im Jahr 2003 und der Geburt der zwei Kinder wurde sie 2019 die First Lady der Ukraine, als Selenski sein Amt als Präsident antrat. Wie sie im selben Jahr im Interview mit der ukrainischen «Vogue» erzählte, war sie anfangs strikt dagegen, als ihr Mann in die Politik wollte. «Ich war nicht sehr glücklich, als ich erkannte, dass das sein Plan war», sagte Selenska. «Mir wurde klar, wie sich alles ändern würde und welche Schwierigkeiten auf uns zukommen würden.»
Obwohl sie sich lieber hinter der Bühne aufhalte und sich im Gegensatz zu ihrem Mann im Schatten wohler fühle als in der ersten Reihe, hat sich Selenska seither in ihrer Rolle als First Lady gefunden. So widmete sie sich in den letzten drei Jahren nebst ihren Drehbüchern vor allem der Öffentlichkeitsarbeit und versucht, die Aufmerksamkeit der Menschen «auf wichtige gesellschaftliche Themen zu lenken». So setzt sich die zweifache Mutter etwa stark für die Gesundheit von Kindern und die Gleichstellung der Geschlechter ein.
Denn als Frau des Präsidenten habe sie «die Möglichkeit, mit denjenigen zu kommunizieren, die der Macht nahestehen», sagt Olena Selenska. «Ich bin keine Politikerin, und ich habe nicht das Recht, mich in die Arbeit des Präsidenten einzumischen, aber eine Vermittlerin zwischen den Menschen und den Beamten zu sein, damit Letztere den Ersten hören, das kann ich, und ich bin wirklich bereit dazu.» Dass das keine leeren Versprechungen sind, stellt Selenska in diesen Tagen unter Beweis. Und macht den Ukrainern aus ihrem geheimen Versteck aus täglich Mut.
Lisa Füllemann ist Redaktorin im Ressort Leben. Sie hat an der Universität Zürich Geschichte und Deutsche Literaturwissenschaft studiert.
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