Kolumne: Bern und so«Sid dir de sicher?»
Gewisse Dinge trotzen noch jeder Krise.
Seltsame Zeiten, denke ich, als ich mit dem Fahrrad eine Ausfahrt zum Kiosk mache. Auf den Waldstücken sehe ich Leute spazieren, die wirken, als täten sie das zum ersten Mal. In weissen Turnschuhen und dem Smartphone in der Hand schlendern sie durch das Gehölz, als gingen sie über Glasscherben.
Im Strassenverkehr kurven mittelalterliche Männer mit komischen Frisuren auf Drahteseln, an denen noch Spinnweben kleben. Die ungelenken Bewegungen lassen erahnen, dass sie das letzte Mal Fahrrad gefahren sind, als der Schokoriegel Twix noch Raider hiess.
Vor dem Kiosk reihe mich an vierter Stelle ein. Alles geht zuerst ruckzuck. Der junge Mann im Muskelshirt kauft Kaugummi und Wasser, ohne die Kopfhörer aus den Ohren zu nehmen. Die junge Frau in Leggins und einer schweren Tasche in der Armbeuge kauft telefonierend ein zuckerarmes Red Bull.
Erst da schaue ich mir die Frau direkt vor mir an. Sie trägt ein weites blaues Kleid mit Blumenmuster, weisse Söckchen lugen aus schwarzen Schnürschuhen. Sie hat Oberarme wie ich Oberschenkel. In den Händen hält sie einen Stapel bunte Papiere: Glückslose.
Vorhang:
«I nime de grad wieder zwöi Krosswörds, zwöi Tribolo, drü Bingo, vier Podium u äs Win for Läif.»
Die Verkäuferin nimmt die Lose entgegen, rubbelt, kontrolliert, macht ein Gummiband drum und fragt dann:
«Exgüse. Was hets dörfe si?»
«Zwöi Krosswörds, zwöi Tribolo, drü Bingo, vier Podium u äs Win for Läif. Wie viu macht das no?»
Die Verkäuferin schluckt einen Seufzer runter. Nimmt den Taschenrechner aus der Schublade, beginnt zu tippen, und ich denke, ach, wie schön, dass ich keinen Zug erwischen muss.
«Das miech de 39 Franke, we dir weit so gueti si»
«Das cha nid si. Heit dir abzoge, was i gwunne ha?»
«Ja, hani.»
«Sid dir de sicher?»
Die Verkäuferin greift nochmals zum Taschenrechner, und ich denke mir: Ach, wie schön, gewisse Dinge trotzen einfach jeder Krise.
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