Schwierige Zeiten für Independent-Filme
Die Streamingdienste setzen dem unabhängigen Kino zu. Werke wie «Queen of Hearts» und «The Farewell», die das Zurich Film Festival zeigt, lassen einen dennoch Hoffnung schöpfen.

Nicht wenige seiner Filme holt das Zurich Film Festival (ZFF) aus der Kälte. Das Sundance-Festival in Utah wurde in den 70er-Jahren von Robert Redford gegründet, in den 90ern entdeckte die Welt an dieser Quelle des unabhängigen Autorenfilms Quentin Tarantino oder Steven Soderbergh. Als die Hollywoodstudios damit begannen, in Sundance auf Einkaufstour zu gehen, zeigte der aktuelle Bond-Regisseur Cary Fukunaga «Sin Nombre» (2009), ein hartes Porträt eines Emigrantentrecks von Honduras in die USA.
«Sin Nombre» lief damals auch am ZFF, viele weitere Sundance-Filme folgten. Auf der Liste der Filme, die das Festival dieses Jahr aus Sundance mitbrachte, figurieren zum Beispiel das Familiendrama «After the Wedding» mit Julianne Moore oder der Dokumentarfilm «Untouchable» über Harvey Weinstein, was natürlich ein wenig ironisch ist, war dieser doch auch am ZFF ein gern gesehener Gast.
Man kann es aber auch so sehen, dass die Zeiten der Indie-Grossproduzenten wie Weinstein, die mit einem Tross von dauertelefonierenden Assistenten durch Festivals wie Sundance stolzierten, längst Geschichte sind. Das Geschäft des Independent-Films ist in Bewegung, darum ging es auch am Branchentreffen Zurich Summit im Hotel Dolder am Wochenende.
Netflix verändert das Geschäft
Im Veranstaltungsraum Gallery, den man auch für Hochzeiten mieten kann, sitzen während des Summit internationale und ein paar lokale Vertreter des Filmgeschäfts an runden Tischen und hören Podiumsdiskussionen zu, etwa zum Thema «Global Landscape of Independent Film».
Da redete etwa John Lesher, Oscar-gekrönter Produzent von «Birdman», über die Finanzierungsschwierigkeiten von unabhängig hergestellten Kinofilmen und erinnerte sich an einen Satz, den ihm jemand vor 20 Jahren zum Thema Independent-Film gesagt hat: «Kürzt man den Kreativen das Budget, hört man eigentlich erst dann auf, wenn sie auf besonders durchdringende Art zu schreien beginnen.» Regisseure, die für grosse Studios Fortsetzungen drehen, erlebten dagegen nie einen solchen Kostendruck.
Wegen der marktmächtigen Streamingdienste verändert sich auch das unabhängige Filmschaffen. Zwar ist Netflix in vielen Ländern interessiert an Koproduktionen, aber manches ist vertrackt. Werden Schauspieler über längere Zeit von Streamingservices verpflichtet, beispielsweise für eine Serie, können sie schlecht gleichzeitig in Autorenfilmen mitspielen, die das Potenzial hätten, an Festivals zu reisen. Auch die Sperrfristen – also die Frage, wie lange man nach der Kinoauswertung warten muss mit dem digitalen Angebot – würden laut Podiumsteilnehmer Scott Franklin künftig ganz anders aussehen.
US-Produzent Franklin fasste den Wandel so zusammen: «Früher haben wir versucht, für unsere Filme möglichst grosse Namen zu engagieren, um einen qualitativ hochstehenden Stoff überhaupt realisieren zu können. Heute ist es eher umgekehrt, die Streaminganbieter interessieren sich für die interessanten Inhalte und weniger für Stars und ihre Kassenerfolge.»
Das mag auf jene Produzenten zutreffen, die unabhängiges Kino als Maschine für ambitionierte Kinokunst von wilden Regisseuren verstehen. Am ZFF dagegen schadet es sicher nicht, wenn noch ein Star mitspielt. Dieses Jahr sind das zum Beispiel Titel wie «Official Secrets» mit Keira Knightley über die Whistleblowerin Katharine Gun, die 2003 Informationen zu einer geplanten Aktion zum Abhören von Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrats der britischen Zeitung «The Observer» zuspielte, oder «The Report» mit Adam Driver über den Folterbericht nach 9/11. Beide Werke hatten ihre Premiere Anfang des Jahres in Sundance.
Was die Qualität angeht, so sind diese Filme für ihr Genre und Zielpublikum solide gestrickt, doch weder erzählerisch noch formal macht man da grosse Entdeckungen. «Official Secrets» kann sich nicht entscheiden, ob es Enthüllungsstory oder Betroffenheitsdrama sein will und macht dann halt beides, Keira Knightley weint recht oft. «The Report» zeigt zahllose Entscheidungsträger hinter Pulten, wo sie mit erhobener Stimme etwas Mahnendes zur politischen Lage sagen. Der Erkenntnisgewinn ist bescheiden.
Letzte Hoffnung: «The Farewell»
Dieses Aufhübschen und Weichzeichnen mag einen angesichts der Vergangenheit des Independent-Films betrüben. Aber dann gibt es auch Filme, die einen wieder Hoffnung schöpfen lassen: In «Queen of Hearts» mit dem dänischen Aushängeschild Trine Dyrholm hat eine auf jugendliche Missbrauchsopfer spezialisierte Anwältin eine Affäre mit ihrem minderjährigen Stiefsohn – mit tragischer Konsequenz. Da schluckt man dann leer angesichts dieser drastischen #MeToo-Aktualisierung. Das Drama gewann in Sundance den Publikumspreis und läuft am ZFF im Spielfilmwettbewerb.
Anlass zu Hoffnung besteht auch bei der Sundance-Entdeckung «The Farewell»: Lulu Wangs Film über eine chinesischstämmige Familie, die ihre todkranke Grossmutter ein letztes Mal besucht und dabei eine Fake-Hochzeit inszeniert, entpuppte sich in den USA als Überraschungserfolg. Und das, obwohl oder gerade weil die Regisseurin in Sundance das Angebot eines Streamingdienstes ablehnte. Es war angeblich doppelt so hoch wie jenes des unabhängigen Studios A24. Aber dieses ist eben gerade das angesagteste Studio überhaupt, nicht nur wegen Oscar-Siegerfilmen wie «Moonlight», sondern auch dank dem Neo-Horror von «Hereditary».
Nur, wie lange bleibt man schon unabhängig? A24 hat letztes Jahr einen Deal mit einer grösseren Firma bezüglich einer Anzahl Filmproduktionen abgeschlossen. Die Firma heisst Apple, es ist der allerneueste Player im Streamingmarkt.
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