Das Fressen, die Moral und Ueli Maurer
Der Bundespräsident reist nach Saudiarabien. Die Kritik ist heftig und ungerecht.

Vor erst einem Jahr wurde der saudische Regimekritiker Jamal Khashoggi umgebracht. Es war, nach allem, was bisher bekannt ist, ein bestialischer Mord, ausgeführt durch saudische Folterknechte in allerhöchstem Auftrag. Die Empörung war gross, auch in der Schweiz. Sanktionen, der Abbruch der Beziehungen wurden erwogen. Und jetzt reist Bundespräsident Ueli Maurer in das Land, Bankenvertreter im Schlepptau. Er will da, Originalton, den «bilateralen Finanzdialog» pflegen. Als wär da nie etwas gewesen.
Verständlich, dass die Reaktionen ungläubig bis empört ausfallen. Saudiarabien ist nach unseren Begriffen auch ohne den Fall Khashoggi ein Unrechtsstaat. Eine absolute Monarchie, auf Ölmilliarden gebaut, in der Menschen- und Frauenrechte immer noch nichts gelten. Todesstrafen und Folter sind Alltag. Und im Jemen führen die Saudis einen Krieg mit unerhörter, blutiger Brutalität.
Die Kritik und die Häme, der sich Maurer seiner Reise wegen gestern in Internetforen ausgesetzt sah, sind trotzdem ungerecht. Es ist nicht einfach so, dass für ihn halt das «Fressen» – die wirtschaftlichen Beziehungen zur Öl- und Wirtschaftsgrossmacht am Golf – jetzt die «Moral» ersetzt – die berechtigte Forderung, saudische Menschenrechtsverletzungen anzuprangern und nach den Möglichkeiten des Völkerrechts zu ahnden. Maurer tut vielmehr das, was er als Bundespräsident den verfassungsmässigen Auftrag hat zu tun: Die Beziehungen zu einem Land pflegen, mit dem die Schweiz diplomatisch, politisch und wirtschaftlich verbunden ist, seit langem und eng.
Würden Maurer und die Schweiz als Ganze nur mit den Musterknaben und Mustermädchen der Weltpolitik verkehren – wir wären sehr bald sehr einsam. Und hätten nichts gewonnen ausser dem Gefühl moralischer Überlegenheit. Zum Umgang auch mit Unrechtsregimen gehört nun einmal der Dialog, sogar der «Finanzdialog». Das Fressen und die Moral, sie schliessen sich nicht grundsätzlich aus.
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