Schule im Zeitgeist
Die Schülerzahlen in der Steiner-Schule ziehen wieder an. Ein Ausbau ist angedacht. Das anthroposophische Gedankengut scheint zum Trend der Entschleunigung zu passen.

An der Schlossstrasse 6 ist das Leben noch in Ordnung. Zumindest an diesem sonnigen Freitagmorgen. Eine Handvoll Kinder arbeitet zufrieden im Garten. Schmetterlinge gaukeln durch die Luft. Vögel zwitschern. Aus einem Fenster erklingen ein Dutzend Blockflöten, mehr oder weniger harmonisch.
Bereits seit dem Jahr 1984 ist die Steiner-Schule in Langnau vertreten. Damals war sie noch in einer Wohnung im Oberdorf angesiedelt. Das reichte. Schliesslich hatte sie nur gerade 6 Schüler. Erst Mitte der 1990er zog sie an die Schlossstrasse, in die alte, schöne Villa mit Erkerzimmer, knarrenden Böden und grossem Garten.
Aus 6 Schülern waren innert eines Jahrzehnts 150 geworden. So viele, dass ein Teil des Unterrichts in einen Pavillon ausgelagert werden musste. Wiederum innert einer Dekade aber halbierten sich die Schülerzahlen und sanken später sogar auf knapp 50.
Nach diesem Auf und Ab stösst die Steiner-Schule platzmässig jetzt wieder an ihre Grenzen. Fast 110 Schülerinnen und Schüler vom Kindergarten bis zur 9. Klasse sind es in diesem Jahr – Tendenz steigend.
Ein Ausbau wird nötig. Spruchreif ist im Moment zwar noch nichts. Klar ist jedoch: Es fehlt an zwei bis drei Schulzimmern. Der Werkraum und der Saal sind zu klein. Auch die Küche könnte eine Erweiterung vertragen. In den nächsten Jahren soll auf dem Spickel zwischen Kantonalbank und Rosenstrasse also einiges geschehen.
Beliebt bei Lehrmeistern
Als die Steiner-Schule in den 1990er-Jahren so begehrt war, hatte das mit ihrem Pioniergeist zu tun. Das vermutet zumindest Klassenlehrer Yves Bönzli. Die Leute liessen sich von der Euphorie der steinerschen Pädagogik anstecken, die damals so neu und ein bisschen revolutionär war. Dann flachte das mit den Jahren ab.
Jetzt scheint das anthroposophische Bildungssystem plötzlich wieder populärer zu werden. Was laut Bönzli nicht überrascht in einer Zeit, da die Menschen Ursprünglichkeit und Entschleunigung – zumindest propagieren, und die Leistungsgesellschaft immer kritischer betrachten.
«Gerade in Lehrbetrieben sind unsere Schülerinnen und Schüler sehr beliebt.»
Trotz diesem Wandel hat sich an den Sorgen der Eltern nichts geändert. «Kommt mein Kind später in der harten Realität zurecht?», sei eine immer wieder gestellte Frage, sagt Marianne Etter. Sie ist Vorstandsmitglied und Lehrerin. Die Ängste seien aber unbegründet. «Gerade in Lehrbetrieben sind unsere Schüler und Schülerinnen sehr beliebt», sagt sie. Etwa weil sie am Ende der Schulzeit, also nach zwölf Jahren, reifer seien und öfters schon wüssten, was sie wollten.
Zudem sind laut Etter die Übergänge in die Berufswelt oder in weiterführende Schulen fast genau so gegeben wie in der Staatsschule auch. Mittels der sogenannten integrativen Mittelschule (IMS) in den letzten drei Schuljahren bereiten sich die Jugendlichen individuell auf ihren weiteren Weg vor.
In mehrwöchigen Praktika sammeln sie erste berufliche Erfahrungen in der Landwirtschaft, im Gewerbe, in der Industrie und im sozialen Bereich. Übertritte von der IMS in ein Gymnasium seien zudem ebenso gewährleistet wie der Besuch einer höheren Fachschule oder Fachhochschule.
Aufgeschlossen
Die Sorge um den Anschluss ist das eine. Es gibt aber auch jene um den Ausschluss, die Ausgrenzung während der Schulzeit. Gerade in Langnau herrsche ein offener Geist, sagt Yves Bönzli. Er ist im Kanton Zürich aufgewachsen und kennt auch andere Umgangsarten mit «Steiner-Schülern».
Das Emmental scheint neuen pädagogischen Wegen gegenüber immer schon aufgeschlossen gewesen zu sein. Jeremias Gotthelf etwa, Pfarrer Friedrich Eymann oder später Hans Ulrich Schwaar: Alle hätten die hiesigen Schulen stark mitgeprägt. Innerhalb von Langnau fühlten sich seine Schüler deshalb nicht ausgeschlossen, sagt Yves Bönzli.
Die Steiner-Schule sei ganz selbstverständlich Teil der Gemeinde. Längst ist es auch nicht mehr so, dass es sich dabei um eine Art geschlossene Gesellschaft handelt. Klar seien viele Eltern künstlerisch tätig. Aber auch Bönzli hat Schüler, die als Berufsziel angeben, so schnell wie möglich reich werden zu wollen. Und Informatiker, Arzt, Ingenieur und Naturwissenschaftler gehören zu den üblichen Berufswünschen. «Wir müssen uns ständig bemühen, im Zeitgeist zu bleiben», sagt Bönzli. Zumal das ja auch Rudolf Steiner ein Hauptanliegen gewesen sei.
Und vielleicht passe die Anthroposophie besser denn je in eine Gesellschaft, in der Routinearbeiten nach und nach von Robotern ausgeführt würden und vermehrt kreative Menschen, Querdenker gefragt seien.
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