Historiker erschüttert ItalienPizza, Parmesan, Panettone – wer hats erfunden? Nicht die Italiener!
Unsere südlichen Nachbarn haben weltberühmte gastronomische Klassiker geschaffen. Oder doch nicht? Geschichtsprofessor Alberto Grandi begeht gerade Landesverrat.

Anfang 2018 brachte Alberto Grandi das Buch «Denominazione di origine inventata» (Erfundene Herkunftsbezeichnung) heraus. Darin stand Brisantes: dass zahlreiche Rezepte nicht in Italien erfunden wurden. Der italienische Professor Grandi widmet sein Leben dem Aufdecken von Mythen der italienischen Küche. Nach der Publikation lancierte er einen Podcast, der mittlerweile drei Staffeln umfasst. Von Botschaftern, Köchen und Moderatorinnen musste er sich anfeinden lassen, weil er der Industrie unterstellt hat, dass sie Traditionen im Nachhinein erfunden hatte. Nun hat er erstmals mit einer ausländischen Journalistin der «Financial Times» gesprochen – der Beitrag schlug Wellen.
Im Artikel sagt Grandi, dass die meisten Italiener vor den 1950er-Jahren noch nie etwas von Pizza gehört hätten. Und italienische «Klassiker» – von Panettone bis Tiramisù – sind seiner Meinung nach relativ neue Erfindungen. Einige seiner Behauptungen sind in Insiderkreisen der Branche bekannt, doch die meisten beruhen auf Grandis eigenen Erkenntnissen, die er zum Teil aus der vorhandenen akademischen Literatur abgeleitet und in verdaulichen Häppchen formuliert hat.
Piada, Pida, Pita oder Pitta?
Zum Beispiel die Carbonara-Sauce: Für Italiener, die nach den Boomjahren geboren wurden, besteht das Traditionsgericht aus den Zutaten: Guanciale (Schweinebacke), römischer Schafskäse, Eier und Pfeffer. Doch wie Grandis Recherchen zeigen, waren die Ingredienzien früher vielfältiger: Das älteste Rezept wurde 1952 in Chicago festgehalten und enthielt Speck, nicht Schweinebacke. Italienische Rezepte aus der gleichen Zeit reichen von Gruyère bis zu Prosciutto und dünn geschnittenen, sautierten Pilzen. Erst in den 1990er-Jahren wurde der Speck durch den Guanciale ersetzt.
Stimmt wenigstens, dass die Pizza in Italien erfunden wurde? Diesen Erfolg muss sich das südeuropäische Land mit mehreren Ländern teilen. «Mit Zutaten belegte Teigscheiben», wie Grandi sie nennt, gab es jahrhundertelang im gesamten Mittelmeerraum. Man nannte sie Piada, Pida, Pita, Pitta – oder eben Pizza. Und im Jahr 1943 schrieben italienisch-amerikanische Soldaten 1943 aus Sizilien, dass es dort gar keine Pizzerien gebe. Vor dem Krieg, so Grandi, gab es Pizza nur in einigen wenigen süditalienischen Städten. Seinen Recherchen zufolge soll das erste Restaurant, das nur Pizza servierte, 1911 in New York eröffnet haben. (Lesen Sie hier, dass auch Pinsa eine Erfindung der Neuzeit ist – und nicht, wie vielerorts behauptet, ein Lieblingsessen in der Römerzeit.)
In der Geschichte der modernen italienischen Küche führen viele Wege nach Amerika.
Mehr als fünf Jahre dauerte es, bis die Welt merkte, welche Irrtümer Grandi aufgedeckt hatte. Bleibt zu hoffen, dass das Buch in weitere Sprachen übersetzt wird. Darin werden auch Traditionen demaskiert, so soll der Panettone eine industrielle und keine handwerkliche Erfindung sein und der italienische Parmesan nicht nach Originalrezept produziert werden.
Dessen Spuren führen nämlich nach Wisconsin, wo sich Einwanderer Anfang des 20. Jahrhunderts niederliessen und mit der Käseherstellung begannen. Anders als sein heutiges italienisches Pendant – ein Hartkäse mit heller Haut – verfügt der amerikanische Parmesan über eine dicke schwarze Kruste. Ganz wie das ursprüngliche Rezept. Fazit: In der Geschichte der modernen italienischen Küche führen viele Wege nach Amerika.
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