Das falsche Zeichen
«Um eine kontrollierte Zuwanderung zu erreichen, ist das angestrebte Verbot von Minaretten das völlig falsche Mittel.»
Es brauche ein Zeichen gegen die schleichende Islamisierung. Deshalb wollen die Verfechter der Anti-Minarett-Initiative den Bau solcher Gebetstürme in der Schweiz verbieten und dies per Abstimmung vom 29.November in der Bundesverfassung niederschreiben. Daraus ergeben sich zwei Fragen: Gibt es hier zu Lande tatsächlich eine schleichende Islamisierung, und falls Ja, braucht es als Zeichen dagegen ein Verbot von Minaretten?
Tatsächlich wohnen inzwischen rund 400'000 Menschen mit muslimischem Glauben in der Schweiz, und deren Anzahl wird wohl noch anwachsen – wenn auch nicht mehr in dem Tempo, wie es bedingt durch die kriegerischen Auseinandersetzungen in Ex-Jugoslawien in den 90er-Jahren geschah. Deswegen von einer Islamisierung zu sprechen ist jedoch zu weit gegriffen. Klar ist die muslimische Kultur vor allem in den Städten und grösseren Agglomerationen sichtbar geworden, sei dies wegen Frauen mit Kopftüchern, muslimischen Kulturzentren oder ganz wenigen Moscheen mit einem Minarett.
Aber das schweizerische Selbstverständnis und die hiesige Kultur wurden bisher nur am Rande durch die muslimischen Mitbürger tangiert. Zu stark ist der Rechtsstaat Schweiz, zu eingespielt der Umgang mit unterschiedlichen Kulturen. Aber es ist unbestritten, dass eine uns derart fremde Gemeinschaft wie der Islam Probleme aufgeben kann, wenn die Anzahl Mitglieder eine kritische Grösse überschreitet.
Braucht es gerade deshalb, sozusagen präventiv, ein Zeichen, obwohl derzeit nicht von einer Islamisierung gesprochen werden kann? Um eine kontrollierte Zuwanderung zu erreichen, ist das angestrebte Verbot von Minaretten das völlig falsche Mittel. Flüchtlinge oder Arbeit Suchende mit einem muslimischen Hintergrund lassen sich von ein paar Minaretten mehr oder weniger sicher nicht davon abhalten, in die Schweiz zu emigrieren. Hier muss die Einwanderungspolitik der Schweiz mit klaren Vorgaben als Regulator wirken. Aber wenigstens würden mit dem Verbot fundamentalistische Kräfte abgeschreckt, argumentieren die Befürworter der Volksinitiative. Das Gegenteil dürfte der Fall sein: Gemässigte Muslime – und das ist der überwiegende Teil der hier lebenden Anhänger dieses Glaubens – würden durch ein Verbot von Minaretten brüskiert und sich eher radikalisieren.
Um eine gute Integration der Muslime zu erreichen – und das wollen die Initianten angeblich –, ist das Volksbegehren untauglich, das falsche Zeichen. Es braucht nicht Zeichen, um ein friedliches Zusammenleben zwischen Anhängern verschiedener Religionen in der Schweiz zu gewährleisten. Was es braucht, sind klare Regeln, an welche sich alle zu halten haben, Muslime, Christen, Juden oder Buddhisten. Und diese richten sich in der Schweiz, welche Gott sei Dank strikt trennt zwischen Staat und Religion, nach den Menschenrechten. Doch Regeln genügen nicht, diesen muss auch Nachachtung verschafft werden. Und hier hapert es tatsächlich noch teilweise in der Schweiz.
Wenn das Bundesgericht völlig zu Recht entschieden hat, dass die Kinder aller Religionen am Schwimmunterricht teilzunehmen haben, dann müssen die Gemeinden diese Vorgabe auch durchsetzen. Auch mit strikteren Integrationsvereinbarungen, wie sie etwa Basel-Stadt praktiziert, kann verhindert werden, dass sich Parallelgesellschaften entwickeln. Diese Gefahr ist tatsächlich nicht zu unterschätzen, wie ein Blick über die Schweizer Landesgrenzen zeigt. So leidet zum Beispiel Deutschland unter zu wenig harten und klaren Forderungen gegenüber ihren ausländischen Mitbürgern.
All dies vermag die Initiative nicht einmal im Ansatz zu lösen. Vielmehr würde sie die muslimischen Mitbürger in eine Parallelgesellschaft drängen. Sie dürfte zudem der Schweiz wirtschaftlich schaden, ihr einen Prozess am Menschengerichtshof in Strassburg bescheren und wohl am schlimmsten: den Religionsfrieden in der Schweiz auf eine harte Bewährungsprobe stellen. Diese gravierenden Nachteile in Kauf zu nehmen, nur um ein äusserst zweifelhaftes Zeichen zu setzen, ist der falsche Weg. Abgesehen davon, dass mit einem Verbot einseitig Muslime diskriminiert würden und schon heute Minarette durch die lokalen Bau- und Zonenordnungen verhindert werden können, wenn etwa ein solcher Gebetsturm nicht ins Dorfbild passt oder zu nahe von anderen religiösen Bauten steht. Deshalb ist diese Initiative klar abzulehnen.
Dem Volksbegehren ist zugute zu halten, dass es die Diskussion über das Zusammenleben verschiedener Kulturen angeschoben hat. Wie die Schweiz in einer globalisierten Welt bestehen kann, ohne ihre Identität zu verlieren, ist eine Debatte, welche in den nächsten Jahren vorurteilsfrei, aber intensiv geführt werden muss.
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