Thun historischMaulbeerplatz: Der Verkehr drehte sich bereits 1932
Eine alte Fotografie legt nahe, dass der Kreisverkehr auf dem Maulbeerplatz bereits 1932 realisiert war und nicht erst in den 1970er-Jahren. Auf Spurensuche im historischen Thun.

Es muss an einem sonnigen Tag kurz nach Mittag gewesen sein. Am Turm der Stadtkirche stehen die Zeiger auf 10 Minuten nach zwei Uhr. Imposant präsentiert sich der vor der Vollendung stehende Neubau der Spar+Leihkasse Thun. So weit, so normal, auch für eine Fotografie, die auf das Jahr 1932 datiert ist.
Ungewöhnlicher ist, was das Auge im Vordergrund erhascht. Der Maulbeerplatz ist gut zur Hälfte sichtbar. Und deutlich erkennbar ist eine offenbar kreisförmig angeordnete Verkehrsführung. Besonders amüsant mutet aus heutiger Sicht das spiralförmige Verkehrszeichen im Zentrum des Platzes an. Es deutet ebenfalls an, dass sich die Automobile auf dem Platz bereits vor rund 90 Jahren im Kreis bewegten.
Aufgefallen ist die Fotografie dem ehemaligen Thuner Gemeinderat Hans Kelterborn bei der Durchsicht einer Fotosammlung im Stadtarchiv. Für Kelterborn ist das Bild der Beweis, «dass der Kreisverkehr am Maulbeerplatz bereits 1932 realisiert war und nicht, wie verschiedentlich behauptet, in den 1970er-Jahren erfunden worden ist».
Spurensuche im Zeitungsarchiv
Lässt sich die Vermutung von Hans Kelterborn erhärten? Diese Zeitung hat sich auf Spurensuche begeben. Ein interessanter Treffer ergibt sich im «Oberländer Tagblatt» vom 19. August 1929. In einer knapp gehaltenen Information teilte der Gemeinderat mit: «Der südliche Brückenkopf der Bahnhofbrücke erhält in Ableitung von der althergebrachten Bezeichnung ‹zum Maulbeerbaum› den Namen Maulbeerplatz. Über die Anlage der Verkehrsinseln auf dem Maulbeerplatz soll zur Orientierung der Strassenbenützer und des Publikums ein Croquis in der Presse veröffentlicht werden.»
«Beim Maulbeerplatz sollen drei Schutzinseln geschaffen werden mit durchgehendem Rechtsverkehr.»
Womit klar ist, dass Thuns prominenteste Verkehrsdrehscheibe im Jahr 1929 auf den Namen Maulbeerplatz getauft wurde (vgl. auch Box) und damals mutmasslich eine neue, mit Verkehrsinseln bestückte Verkehrsführung bekam. Im September 1929 waren der Verkehr und das zunehmende Unfallgeschehen dann auch im Stadtrat ein Thema. Dabei präzisierte der Gemeinderat: «Beim Maulbeerplatz sollen drei Schutzinseln geschaffen werden mit durchgehendem Rechtsverkehr.»
Zudem wurde vor dem Parlament verkündet: «Nun haben wir eine Verkehrsregelung in der Hauptgasse, ferner eine Verkehrsumleitung hinter der Burg durch, die allerdings wegen der örtlichen Verhältnisse ungenügend ist.» Vielerorts habe man auch Verkehrstafeln angebracht, «wobei leider gesagt werden muss, dass deren Vereinheitlichung am Widerstand des Kantonesentums scheitert».
«Rechts um diese Insel herum»
Anfang Oktober 1929 vernahmen die Leserinnen und Leser bei der Lektüre des «Oberländer Tagblattes»: «Der Maulbeerbaumplatz hat nun eine bedeutend grössere Verkehrsinsel erhalten und ist seit gestern Abend mit zwei Lichtsignalen versehen. Nach der Verkehrsvorschrift haben nun alle Gefährte rechts um diese Insel herum den Weg ihrer Richtung zu suchen. Diese Lichtsignale sind eine ganz neue Einrichtung und sozusagen in Thun allererst eingeführt worden.» Und das Polizeiinspektorat Thun doppelte nach: «Die Lenker von Motorfahrzeugen, Fuhrwerken und Velos haben sich an die ausgestellten Fahrrichtungstafeln zu halten.»
«Die Aussetzungen gehen im Wesentlichen dahin, dass für die Einführung des Drehverkehrs (Rechtsverkehrs) der Platz zu klein und ungeeignet sei und eine unnatürliche und verwirrende Verkehrsabwicklung zur Folge habe.»
Problemlos verlief die Einführung des neuen Verkehrsregimes offenbar nicht. Ende Oktober lud der Gemeinderat zu einem Ortstermin ein: «Der Schweiz. Touringklub, Subsektion Thun, ersucht um eine gemeinsame Besichtigung der Schutzinseln auf dem Maulbeerplatz. Es wird beschlossen, an eine solche Besichtigung auch die übrigen Motorfahrervereinigungen einzuladen und ihnen Gelegenheit zu geben, sich in der Sache vernehmen zu lassen.»
Kritik aus Bern
Im Februar 1930 ersuchte die Stadt Thun beim Regierungsrat um eine definitive Genehmigung für die neue Verkehrsanordnung auf dem Maulbeerplatz. Die Begeisterung in Bern hielt sich in Grenzen, wie der Thuner Gemeinderat im September 1930 selbst einräumen musste: «Die Aussetzungen gehen im Wesentlichen dahin, dass für die Einführung des Drehverkehrs (Rechtsverkehrs) der Platz zu klein und ungeeignet sei und eine unnatürliche und verwirrende Verkehrsabwicklung zur Folge habe. Der Zweck, durch die Schutzinseln dem Fussgängerverkehr zu dienen, sei nicht erreicht worden; es werde mit Vorliebe die Fahrbahn benützt; dazu komme, dass mit Karren, Kinderwagen usw. ebenfalls die Fahrbahn benützt werden müsse, sodass sich die allzu grosse Beengung der Fahrbahn doppelt unangenehm bemerkbar mache.» Auch im Stadtrat wurde kurz darauf moniert:«Die Verkehrsinsel auf dem Maulbeerplatz ist unpraktisch.»
Trotz Kritik hielt der Gemeinderat offenbar im Grossen und Ganzen an seiner Linie fest. Im Oktober 1932 publizierte die Stadtregierung zum Thema Maulbeerplatz die folgende Information: «Der Plan für die definitive Gestaltung der Verkehrsverhältnisse auf dem Maulbeerplatz wird bereinigt. Es wird noch eine Auskragung der Bahnhofbrücke zum Trottoir der Aarestrasse vorgesehen, um eine flüssigere Fahrbahn zu erhalten. Der Plan soll noch den Automobilverbänden zur Einsichtnahme bereitgehalten und hierauf dem Kant. Strassenverkehrsamt unterbreitet werden.»

Die Geschichte dreht sich im Kreis
Die Exkursion in Thuns Vergangenheit lässt sich somit wie folgt zusammenfassen: Um 1930 gab es auf dem Maulbeerplatz tatsächlich einen Drehverkehr im Gegenuhrzeigersinn, ergänzt mit Verkehrsinseln und Lichtsignalen. Zumindest in Ansätzen muss es eine Art Kreisverkehr gewesen sein, man kannte oder gebrauchte die Bezeichnung im Städtchen aber noch nicht. Und der Exkurs ins historische Thun zeigt auch: Der Verkehr und der Maulbeerplatz waren schon immer ein Thema, das bewegte. Und die historischen Quellen belegen zudem: Die Geschichte zum Thuner Verkehrsgeschehen dreht sich, auch wegen der speziellen Lage am Wasser, bis auf den heutigen Tag im Kreis!
«Von überallher kamen Städteplaner und begutachteten unser Pilotprojekt.»
Offiziell wurden die ersten Kreisel in Thun im Jahr 1988 gebaut. Es waren dies Maulbeerkreisel, Berntorkreisel und Progykreisel. Gemäss dem ehemaligen Kreisoberingenieur Josef Zuppiger war Thun damals in der Deutschschweiz Vorreiter: «Von überallher kamen Städteplaner und begutachteten unser Pilotprojekt», erklärte Zuppiger 2015 im Rückblick gegenüber dem «Thuner Tagblatt».
Der weltweit erste Kreisel wurde übrigens 1904 in den USA in New York eingeweiht. Drei Jahre später folgte der erste Kreisel in Europa. Dieser führte um den Arc de Triomphe in Paris.
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