Zwischenzeitlich im RollstuhlLüdi ist ein wahrer Sisu
Aus der prognostizierten sechswöchigen Pause wurde eine ganze Saison – aber Skicrosserin Sanna Lüdi lässt sich vom erneuten Rückschlag nicht unterkriegen.

Die Diagnose tönte nicht gut, aber auch nicht niederschmetternd. Ein Teilabriss im linken Knie hatte eine sechswöchige Pause zur Folge. Der ausgerenkte Finger und Daumen sowie die Schürfwunden im Gesicht waren keine Erwähnung wert; auch die kurzzeitige Kieferluxation nicht. Denn Sanna Lüdi hat in ihrer Karriere schon weitaus schlimmere Verletzungen überstanden. In ihrer langen Historie an Blessuren finden sich mehrere Kreuzbandrisse, Brüche an Bein, Hüfte, Schulter und Nase sowie eine mysteriöse Viruserkrankung, die sie 2016 eine ganze Saison ausser Gefecht gesetzt hatte. Deshalb schien der Sturz am 7. Dezember in Val Thorens noch glimpflich abgelaufen zu sein. Ausgerechnet Teamkollegin Fanny Smith hatte die führende Lüdi im Viertelfinal zusammen mit der Kanadierin Marielle Thompson «abgeschossen».
Beide Knie operiert
Der Schock kam dann zehn Tage später doch noch. «Ich verspürte immer Schmerzen im anderen Bein», erzählt Lüdi. Eine MRI-Untersuchung brachte schliesslich zutage, dass im rechten Knie das Aussenband «total kaputt» war. «Wir haben uns dann entschieden, gleich beide Knie zu operieren.» Als sie aufwachte fand sie eine Notiz von ihrem Doktor Gery Büsser. «Si» und «su» hatte der Arzt auf ihre Hände geschrieben. «Sisu ist ein finnisches Wort. Ich übersetze es für mich mit ‹unnachgiebigem Kampfgeist› oder einfach mit ‹sturer Finnin›, die bis zum Schluss nie aufgibt», sagt Lüdi. Und die 34-jährige Oberaargauerin mit Wurzeln in Finnland (ihre Mutter Pia stammt von dort) ist wild entschlossen, dieser Bezeichnung einmal mehr alle Ehre zu erweisen.
Sisu ist ein finnischer Begriff, der eine angeblich nur den Finnen eigene mentale Eigenschaft bezeichnet. Das Wort gilt als unübersetzbar, kann aber mit «Kraft», «Ausdauer» oder «Beharrlichekit», auch «Unnachgiebigkeit» oder «Kampfgeist» besonders in aussichtslosen Situationen wiedergegeben werden.
Sechs Tage nach der Operation konnte Lüdi an Weihnachten das Spital verlassen – im Rollstuhl. Gehen war nur mit Krücken möglich. «Seit gut einer Woche kann ich wieder ohne Hilfsmittel so gehen, dass man mir nichts mehr ansieht.» Geholfen hat ihr im Februar auch ein Abstecher nach Florida. «Schon nach meinen Kreuzbandrissen hatte ich mich dort in Therapie begeben.» Lüdi schuftete an der Sonne intensiv, vor allem Wassertherapie war angesagt. Zurück in der Schweiz, hat sie mit dem Trainingsaufbau begonnen, bereits unternahm sie eine Ausfahrt auf dem Rennrad. «Im Frühling möchte ich auf den Ski noch ein paar Schwünge machen», definiert sie ihr kurzfristiges Ziel.
Zurück an die Weltspitze
Ans Aufhören hat sie nach dem Rückschlag nie gedacht. «Im Gegenteil, ich habe vorher allen gezeigt, dass ich zurück an der Weltspitze bin. Da will ich wieder hin.» Aber der Weg ist trotz der gesundheitlichen Fortschritte noch lang, schliesslich ging nach der Operation nicht nur die Mobilität verloren, sondern auch die Muskeln. Aber bis zu den Olympischen Winterspielen 2022 in Peking bleibt ja noch Zeit. «Diese Verletzung ist nicht so schlimm, ich habe eigentlich nichts verloren ausser eine coole Saison. Aber wenn ich etwas in meiner Karriere gelernt habe, dann dass hadern nichts bringt», sagt Lüdi ganz im Stile eines Sisu.

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