Leitet ein Amerikaner die IS-Propaganda?
Der Sohn eines angesehenen Arztes aus Boston könnte laut dem FBI eine Schlüsselfigur der Terrororganisation Islamischer Staat sein. Mit seiner überlegenen Werbung drängt der IS auch al-Qaida an die Wand.
Der amerikanisch-syrische Doppelbürger Ahmad Abousamra spielt nach Ansicht der US-Bundespolizei FBI wahrscheinlich eine grosse Rolle in der Produktion und der Verbreitung von Propaganda-Inhalten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS). Für Hinweise, die zu seiner Ergreifung führen, ist eine Belohnung von 50'000 US-Dollar ausgesetzt. Der Verdacht des FBI gründet laut «ABC News» auf Abousamras Vergangenheit.
Seit 2009 ist er wegen Vergehen im Zusammenhang mit Terrorismus in den USA angeklagt. Zusammen mit zwei anderen Männern sei er 2004 in den Mittleren Osten gereist. Mehrmals habe er in Pakistan und im Jemen Terrorcamps besucht und dort militärisches Training erhalten, «mit dem Ziel, amerikanische Soldaten in Übersee zu töten», berichtet CNN unter Berufung auf das FBI. Laut Anklage hatten er und seine Freunde dann als «Medienflügel» für al-Qaida im Irak gearbeitet.
Als er zurückkehrte, befragte ihn das FBI 2006, liess ihn aber im Gegensatz zu einem seiner Mitstreiter wieder ziehen. Abousamra habe sich daraufhin nach Syrien abgesetzt. Dort vermuten ihn die US-Behörden heute. Ein hochrangiger FBI-Beamter sagte gegenüber «ABC News», es scheine, Abousamra übe einen ähnlichen Job aus wie zuvor für al-Qaida im Irak, die in der Zwischenzeit im IS aufgegangen ist. Harte Beweise liegen laut CNN aber nicht vor.
Kommunikation fast so wichtig wie Akt selber
Die Propaganda des IS ist viel professioneller produziert als frühere Terrorbotschaften. Der IS zelebriert die Gewalt, inszeniert Enthauptungen samt direkter Botschaft für US-Präsident Barack Obama. Enthauptungsvideos sind keine Erfindung des IS. Bereits al-Qaida nutzte die Videos, um in westlichen Ländern Angst zu erzeugen und unter muslimischen Beobachtern Stärke zu demonstrieren. Allerdings erscheinen deren Formate im Vergleich zu den hochauflösenden und choreografiert wirkenden IS-Videos nahezu amateurhaft. Wo al-Qaida eine Enthauptung bloss aufzeichnete, stellt sie der IS nun hämisch zur Schau.
Die Bilder sollen einerseits Angst verbreiten, andererseits Stärke demonstrieren und so die Attraktivität der Organisation für potenzielle Kämpfer aus anderen Staaten erhöhen. «IS versteht sehr gut, dass der Erfolg eines Terrorakts davon abhängt, ob er effektiv Menschen terrorisieren kann», erklärt Peter Neumann, Direktor des International Centre for the Study of Radicalisation (ICSR) gegenüber «ABC News». «Die Kommunikation, die dem Gewaltakt folgt, ist fast so wichtig wie der Akt selber», so Neumann. Deshalb seien auch Unterstützer für den IS sehr wichtig, die Englisch oder eine andere europäische Sprache beherrschen und sich mit den sozialen Medien auskennen.
Wohlhabend und gebildet
Das dürfte bei Ahmad Abousamra der Fall sein. Er wurde gemäss «ABC News» 1981 in Frankreich geboren, wuchs aber im wohlhabenden Bostoner Vorort Stoughton auf. Sein Vater sei ein angesehener Endokrinologe am Massachusetts General Hospital gewesen. Er schickte seinen Sohn Ahmad an die private katholische Xaverian Brothers High School, dann auf die Stoughton High, wo er als ausgezeichneter Student von einer Förderung profitierte. Auch an der Northeastern University hob sich Abousamra durch gute Leistungen ab. Er soll über einen Abschluss auf einem technologischen Gebiet verfügen und nach dem Studium auch bei einer Telekommunikationsfirma gearbeitet haben. Was ihn schliesslich dazu bewegte, sich islamistischen Jihadisten anzuschliessen und in den Kampf zu ziehen, ist nicht bekannt.
Die Propaganda-Abteilung des IS bewegt sich äusserst agil auf den sozialen Medien. Seit letztem Mai sollen 60'000 Pro-IS-Twitter-Konten eröffnet worden sein, berichtete «Sky News». Nach der Veröffentlichung des Enthauptungsvideos des US-Journalisten James Foley kündigte Twitter an, man werde die Konten der Terroristen schliessen, sind demnach seither 27'000 neue Konten eröffnet worden. Kaum wird ein Konto gelöscht, eröffnen IS-Sympathisanten ein neues mit ähnlichem Namen. «Wir haben frühere Al-Qaida-Kampagnen gesehen, aber nichts, das so schnell auf Ereignisse reagierte und taktisch vorgehen konnte», kommentiert Sicherheitsanalystin Frances Townsend auf CNN. «Das bereitet amerikanischen Offiziellen grosse Sorgen.» Erst kürzlich hat das US-Aussenministerium ein mit ähnlichen Mitteln hergestelltes Schockvideo veröffentlicht. Es soll Muslime in den USA davon abhalten, sich den Terroristen anzuschliessen.
Es kann nur einen geben
Die brutalen Videos sollen aber nicht nur Gegner einschüchtern und Sympathisanten mobilisieren, sie dienen dem IS auch im Konkurrenzkampf mit anderen Terrorgruppen, insbesondere der al-Qaida. Eine Kampfansage an die bekannteste Terrororganisation und ehemalige Mutterorganisation des IS erfolgte Ende Juni. Die Terrormiliz rief in Syrien und im Irak ein «Islamisches Kalifat» aus – die bisherigen Landesgrenzen existieren für sie nicht mehr. Erster «Kalif» wurde der IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi. Im islamischen Glauben ist der Kalif der Nachfolger des Propheten Mohamed und eint die weltliche und geistliche Führung aller Muslime. Ihn kann es nur einmal geben.
Entsprechend kann auch die globale Jihadszene nicht von zwei mächtigen Organisationen angeführt werden. Lange gab es nur al-Qaida mit ihren Anhängern sowie einige lose Islamistengruppen. Mit dem Erstarken des IS wenden sich nun viele Islamisten von al-Qaida ab.
Es kommt daher nicht von ungefähr, dass der Al-Qaida-Chef Ayman al-Zawahri nun die Gründung eines neuen Ablegers in Südasien verkündet hat. Letzte Woche ging eine Botschaft online, die Muslime in Burma und Bangladesh, aber auch in Indien und Indonesien – dem Land mit der grössten muslimischen Bevölkerung weltweit – zum Kampf auffordert.
Ringen um globalen Jihad-Chefposten
Das Ringen um den globalen Jihad-Chefposten könnte dennoch «Kalif Ibrahim», wie sich Baghdadi nennt, für sich entscheiden. Längst kämpfen im IS-Kerngebiet Dutzende indonesische Extremisten, erste Rekrutierungsvideos für Südostasien veröffentlichte die Terrormiliz bereits Mitte Juli. Auch auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel und in Libyen schwenken Terrorgruppen in Videos bereits die markante schwarze IS-Flagge. In Pakistan verteilt der IS seit zwei Wochen Flyer, in der Londoner U-Bahn gar Kalifats-Aufkleber. Dazu kommt die Internetnutzung.
«IS ist wesentlich schneller und cleverer, was die Nutzung von sozialen Netzwerken im Internet angeht», sagt der deutsche Soziologe Andreas Armborst. Al-Qaida setze mit langen theologischen Abhandlungen auf ein eher intellektuelles Publikum – IS-Anhänger hingegen teilen eifrig Links zu kurzen, martialischen Videoclips auf Twitter. «Für die jihadistische Jugend ist er damit wesentlich attraktiver.»
Doch das reicht dem IS nicht. Damit sich auch klassische Al-Qaida-Anhänger dem «Kalifat» zuwenden, könnten weitere Enthauptungsvideos folgen. Am Ende der jüngsten Botschaft stellte ein mit britischem Akzent sprechender IS-Extremist bereits sein drittes Opfer vor: einen britischen Journalisten.
(Mit Material der Nachrichtenagentur SDA)
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch