Fürsorgerische ZwangsmassnahmenKanton Bern erinnert an düsteres Kapitel seiner Geschichte
«Zeichen der Erinnerung» soll das Schicksal von Opfern von Zwangsmassnahmen sichtbar machen. Eröffnung der Ausstellung war am Donnerstag im Schloss Köniz.

Der Kanton Bern erinnert an die Zeit fürsorgerischer Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen. Die Regierungspräsidentin Christine Häsler (Grüne) hat am Donnerstag im Schloss Köniz das Berner «Zeichen der Erinnerung» vorgestellt. Auch die ehemalige Bundesrätin Simonetta Sommaruga (SP) gehörte zu den geladenen Gästen.

Wie die Berner Staatskanzlei am Donnerstag mitteilte, waren bis 1980 zahlreiche Kinder und Erwachsene von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen betroffen. Der Kanton wolle dafür sorgen, dass diese Schicksale nicht vergessen gehen und sich in Zukunft nicht mehr ereignen.
Gemäss Communiqué betonte Häsler am Eröffnungsanlass, dass Schutzbefohlenen und Menschen, die Unterstützung brauchen, ein verantwortungsbewusstes und empathisches Umfeld zustehe. Das grosse Leid der Betroffenen verdiene ungeteiltes Mitfühlen und absoluten Respekt.

Nach ihrer Rede überreichte sie fünf Opfern von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen einen Bergkristall aus dem Berner Oberland. Ursula Biondi, Ursula Waser, Fred Ryter, Christian Studer und Heinz Kräuchi waren an den Anlass eingeladen worden und konnten das Geschenk entgegennehmen. Sie haben in der Begleitgruppe für den Anlass mitgearbeitet.
Meherere Tausend waren Opfer
Das Berner «Zeichen der Erinnerung» sei von einem Projektteam zusammengesetzt aus der Staatskanzlei, Gemeinden, Schulbehörden kirchlichen Organisationen und Betroffenen entstanden. Verding- und Heimkinder, administrativ Versorgte, Zwangsadoptierte, Jenische und Fahrende hätten in beratender Funktion mitgearbeitet.
Von rund 2000 Personen, die heute im Kanton Bern wohnen, sei bekannt, dass sie von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen betroffen waren. Der Kanton geht davon aus, dass es eine gewisse Dunkelziffer gibt und die Zahl deutlich höher ist, schrieb Barbara Studer, Staatsarchivarin des Kantons Bern auf Anfrage
Das «Zeichen der Erinnerung» besteht aus fünf Elementen: Einer Erinnerungstafel, die an verschiedenen Orten im Kanton angebracht wird, einer Plakatausstellung, Unterrichtsmaterialien, welche junge Menschen für Recht und Unrecht in gesellschaftlichen Zusammenhängen sensibilisieren sollen, einer Webseite und dem Gedenkanlass vom Donnerstag.
Reissnagel als Symbol
Die Erinnerungstafel wurde laut Communiqué vom Berner Grafiker Claude Kuhn entworfen. Sie zeigt einen Reissnagel, der stellvertretend für die Zwiespältigkeit von Erinnerungen stehe. Einerseits können Erinnerungen schmerzlich sein, aber andererseits können sie auch helfen. Analog dazu könne ein Reissnagel Schmerzen auslösen, er könne aber auch hilfreich sein.
Schmerz und Leid war für viele Verdingkinder teil des Alltags. Die Kinder wurden bei Pflegefamilen – oft Bauernfamilien – platziert und mussten dabei bei oft schlechter Behandlung arbeiten. Dies geschah in der Schweiz bis ins Jahr 1981.

Im Kanton Bern hatte der Grosse Rat 2006 mit zwei Vorstössen eine Aufarbeitung der Geschichte der Verdingkinder verlangt. Diesem kam der Regierungsrat nach und 2011 erschien das Buch «Die Behörde beschliesst – zum Wohle des Kindes?». Die Berner Behörden entschuldigten sich im gleichen Jahr bei den Betroffenen.
Die Plakatausstellung werde von rund 170 bernische Gemeinden und Kirchgemeinden gezeigt, heisst es. So ist sie auf dem Berner Bahnhofplatz und beim Kornhaus zu sehen, wie die Stadt Bern am Donnerstag mitteilte. Auch andere Städte wie Biel, Thun und Langenthal setzen ein Zeichen gegen das Vergessen.
SDA/flo
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