Vergangenen Donnerstag geschahen zwei Sachen, eine gut, die andere gar nicht. Die gute zuerst: Der flämische Kulturminister entschuldigte sich bei einer Debatte in unserem Genter Theater für die Verbrechen, die Belgien in seiner ehemaligen Kolonie, der heutigen Demokratischen Republik Kongo, zu Beginn des 20. Jahrhunderts verübt hatte.
Anlass war der Report einer UNO-Expertenkommission, der vor einer Woche veröffentlicht wurde und die Grausamkeiten untersuchte, die auf den kongolesischen Kautschuk-Plantagen geschehen sind. Ob durch direkte Tötung oder durch Hunger und Krankheit: In der Zeit der Herrschaft des belgischen Königs über den heutigen Kongo starben geschätzt zehn Millionen Menschen.
Offiziell entschuldigt hat sich ein belgischer Politiker dafür noch nie, deshalb waren die Zeitungen in den letzten Tagen voll von der – natürlich nur politisch belangreichen – Entschuldigung des Kulturministers. Wie absolut unverarbeitet der Genozid in Belgien ist, zeigt der Stand der Debatte insgesamt. In allen grossen Städten stehen Standbilder des massenmörderischen Königs. Wichtige Strassen und Plätze sind nach ihm benannt, was in etwa so ist, als hiesse der Berliner Platz der Republik Adolf-Hitler-Platz. Einem besonders zynischen Standbild, auf dem nackte Kongolesen König Leopold huldigen, wurde von Aktivisten eine Hand abgeschlagen: Das geschah in der Kolonie jenen Sklavenarbeitern, die nicht genug Kautschuk ablieferten.
«Arbeitskraft aus Afrika wird nach Italien geschleust und dort illegalisiert.»
Auf der Bühne wurde nun am Donnerstag dem Kulturminister die abgeschlagene Hand überreicht. Er könne sie zurückhaben, wenn er sich im Namen seiner Regierung entschuldigen würde. Was er dann wie gesagt auch tat. Doch die Beschäftigung mit der Vergangenheit ist nur ein Anfang. Während wir im warmen Theatersaal diskutierten, erreichte mich eine andere Nachricht: In Süditalien war gerade das grösste wilde Flüchtlingslager, das Borgo Mezzanone, aufgelöst worden. Die italienische Polizei und Armee hatten die mehreren Tausend Einwohner deportiert und ihre Häuser dem Erdboden gleichgemacht.
In dem Lager drehen wir seit Januar mit afrikanischen Flüchtlingen einen Jesus-Film. Wie ihre Vorfahren sind die Darsteller Sklavenarbeiter, nur nicht auf heimischen Plantagen, sondern auf den italienischen Tomaten- und Orangenfarmen. In einer Art umgedrehtem Kolonialismus werden nicht mehr die europäischen Unterdrückungsstrukturen nach Afrika transportiert, sondern die afrikanische Arbeitskraft nach Europa geschleust.
Der italienische Innenminister Matteo Salvini illegalisiert die Flüchtlinge, kaum sind sie eingetroffen, und macht sie so verfügbar für den von der Mafia kontrollierten Markt. Aber was kann man tun, um das neokoloniale System aus Verdrängung und Illegalisierung zu durchbrechen? «That's not so fucking simple», antwortete der Kulturminister auf die Frage. Ein Zitat, das in den Medien für ungeteilte Begeisterung sorgte.
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Jesus und die Mafia
In Italien werden Flüchtlinge illegalisiert, kaum sind sie eingetroffen. So werden sie für den von der Mafia kontrollierten Markt verfügbar gemacht.