Ferrari verliert sich im Hahnenkampf
Sebastian Vettel widersetzt sich in Russland internen Absprachen – am Ende jubelt Mercedes über einen Doppelsieg.
Es ist so eine Sache mit einem angekratzten Ego. Oft ist der grosse Streit nicht weit.
So ist das auch bei Sebastian Vettel und dem Grand Prix von Russland. Die ganze Welt des Motorsports sollte an diesem Sonntag erfahren, dass er der bessere der beiden Ferrari-Fahrer ist. Nur derart ist zu erklären, was der vierfache Weltmeister in Sotschi vollführte.
Im Windschatten von Teamrivale Charles Leclerc, der aus der Poleposition gestartet war, schoss sein roter Bolide auf dem langen Weg bis zur zweiten Kurve am Mercedes von Lewis Hamilton vorbei, dann auch an Leclercs Auto. Von Rang 3 auf 1 in 890 Metern: Das Kunststück, das Valtteri Bottas vor zwei Jahren in Russland im Mercedes gelungen war, wiederholte Vettel und bescherte Ferrari die frühe Doppelführung. Nur ist beim Team der Stunde derzeit nicht alles so einfach, wie das diese Positionen vermuten liessen. Es ist Politik im Spiel, eine ganze Menge.
Das hat sich der Traditionsrennstall selber zuzuschreiben, weil er immer wieder vom Kommandostand aus in die Rennen eingreift, oft unnötigerweise. Die Einmischung zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Saison - gestern riss er.
Leider sitzen Sportler in den Autos
Sie hatten sich bei Ferrari wieder einmal allerhand Taktik zurechtgelegt vor diesem Rennen, alle Eventualitäten durchgespielt am runden Tisch. Unschön natürlich, wenn dann in den Autos zwei Sportler sitzen, die einfach nur ein Rennen gewinnen wollen. Wie Vettel.
Dass er sich in Belgien und Italien hat vorführen lassen müssen vom 21-jährigen Monegassen, und dass er sich zuletzt nach seinem Sieg in Singapur anhören musste, dieser sei nur dank der auf ihn ausgerichteten Ferrari-Taktik zustande gekommen, setzte dem 32-Jährigen zu.
Also nützte auch nichts, dass dem Deutschen im Vorfeld eingetrichtert worden war, er müsse Leclerc wieder passieren lassen, wenn er dank dessen Windschatten nach vorne preschen würde. Das tat er nämlich nicht, auch nicht, nachdem er per Funk mehrmals dazu aufgefordert worden war. «Gebt mir noch zwei Runden», gab er zurück – und drückte mächtig aufs Gaspedal.
Zehntel um Zehntel holte er heraus auf Leclerc, vier Sekunden betrug der Vorsprung zwischenzeitlich. Dann griffen die Ferrari-Verantwortlichen ein, holten Leclerc zum Reifenwechsel und schickten ihn auf die Jagd nach schnellen Runden. Vettel liessen sie derweil derart lange langsame Runden drehen, bis sie sicher waren, dass er nach seinem Stopp hinter Leclerc wieder auf die Strecke zurückkehren würde. Zumindest dieser Plan von Ferrari ging auf. Es war so ziemlich der einzige.
Der taktische Griff ins Klo
Zwei Runden nach seinem Pneuwechsel rollte der Wagen von Vettel aus, das Hybridsystem. Ausgerechnet sein geparktes Auto sorgte für ein virtuelles Safety-Car, bei dem die Fahrer eine vorgeschriebene Sektorzeit nicht unterbieten dürfen. Weil in dieser Phase beim Reifenwechsel wenig Zeit verloren geht, reagierte Mercedes, holte Hamilton und kurz darauf Bottas an die Box.
Der Brite kam vor Leclerc zurück auf die Piste, der Finne hinter ihm. Dann verursachte George Russell mit einem Unfall den Einsatz des echten Safety-Car. Und Ferrari gefiel die Idee, Leclerc noch frische weiche Pneus aufziehen zu lassen für die letzten Runden – auch wenn ihn das Rang 2 kosten würde. Die Idee entpuppte sich als taktischer Griff ins Klo.
Leclerc versuchte mit aller Macht, an Prellbock Bottas vorbeizukommen, der Hamilton abschirmte – es gelang ihm nicht. So unverhofft wie Ferrari in Singapur über einen Doppelsieg gejubelt hatte, so unverhofft tat das Mercedes in Russland.
Bei Ferrari gibt es derweil wieder einigen Redebedarf. Vettel sagte, er habe seinen «Teil der Absprache eigentlich eingehalten». Er habe die Anweisung, Leclerc vorbeizulassen, «zu dem Zeitpunkt nicht verstanden». Und Leclerc merkte vielsagend an: «Ich vertraue immer auf mein Team, dass es sich an die Taktik hält.» Auf andere ist offenbar weniger Verlass. Vielleicht lässt Ferrari seine Fahrer das hitzige Duell ja wieder einmal auf der Rennstrecke austragen. Es würde sich viele Diskussionen ersparen.
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