Corona-Medienkonferenz - «Wenn die Dynamik so weitergeht, droht eine Überlastung»
Corona-Medienkonferenz – «Wenn die Dynamik so weitergeht, droht eine Überlastung»
Die Ansteckungszahlen steigen deutlich an. Was bedeutet das für die Schweiz? Erstmals trat Tanja Stadler als Taskforce-Chefin auf. Wir berichteten live.
Das Wichtigste in Kürze
Die Zahl der täglich gemeldeten Corona-Infektionen nimmt wieder deutlich zu. Allein am Montag wurden 3150 von den Kantonen angegeben.
«Leider geht die Entwicklung nicht in jene Richtung, wie wir sie gewünscht haben», sagt heute Patrick Mathys vom BAG.
Mathys sagt auch: «Wenn die Epidemie massiv an Fahrt aufnehmen wird, würden leichte Massnahmen nicht mehr nutzen. Aber einen Lockdown wollen wir nicht mehr.»
«Wenn die Dynamik so weitergeht, droht dem Gesundheitssystem eine Überlastung», erklärt die neue Taskforce-Chefin Tanja Stadler an der gleichen Medienkonferenz.
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Die Zahl der Ansteckungen mit dem Coronavirus steigen. Anfang August ist laut dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) eine Trendwende eingetreten. So viele Fälle wie derzeit hatte die Schweiz zuletzt im vergangenen Jahr während der zweiten Welle.
«Leider geht die Entwicklung nicht in eine Richtung, wie wir es gewünscht haben», sagte Patrick Mathys, Leiter Sektion Krisenbewältigung und internationale Zusammenarbeit beim BAG am Dienstag vor den Medien in Bern.
Vor allem junge Menschen würden sich anstecken. Aber nicht nur die Fallzahlen, sondern auch die Spitaleinweisungen steigen deutlich. «Anfang Juli waren wir bei zwei bis drei Spitaleinweisungen pro Tag – nun sind wir beim zehnfachen», erklärte Mathys. Die Zahl der Todesfälle bleibt jedoch auf tiefem Niveau. Hier sei keine steigende Tendenz sichtbar. Rund ein Viertel der PCR-Tests sei heute positiv, so Mathys.
30'000 Operationen verschoben
Das BAG meldete am Dienstagmittag 3150 neue Corona-Fälle. Damit liegt der 7-Tage-Schnitt bei 2019. Das sind 85 Prozent mehr als noch vor einer Woche. Weiter meldete das BAG 62 Spitaleintritte.

Die Intensivbetten in den Spitälern sind aktuell zu 14 Prozent mit Covid-19-Patientinnen und -Patienten belegt. Wie Mathys erklärte, könnten in der Schweiz etwa 1000 Intensivbetten betrieben werden.
2020 seien zum Freihalten dieser Betten rund 30'000 Eingriffe verschoben worden. Das seien 30'000 Schicksale von Menschen, die sich etwa mit Schmerzen hätten plagen müssen, gab Mathys zu bedenken. Wolle man das vermeiden, dürfe die Höchstbelastung durch Covid-19-Kranke nicht über 300 Plätzen auf den Intensivstationen liegen.
Die Medienkonferenz ist nun zu Ende. Wir danken Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Mathys sagt: Er glaube an die Wirkung der neuen Informationskampagne. «Informiert zu sein, ist die Grundlage von sinnvollen Entscheiden.» Ob Druck in der Schweiz das richtige und geeignete Mittel sei, um Ziele zu erreichen, bleibe offen und sei eine gesellschaftliche und politische, aber keine epidemiologische Frage.
Erneut ist Mathys gefordert. «Wir sehen im Moment eine rasche Zunahme der Fallzahlen, und das kann der Beginn einer Welle sein. Es spielen aber viele Faktoren in unserem Verhalten mit.» Man habe ja immer noch viele ungeimpfte Menschen in diesem Land. Deshalb sei das Potenzial für eine grosse Welle da.
Die neue Taskforce-Chefin Stadler erklärt, dass Anfang 2020 von den bestätigten Fällen 5 Prozent ins Spital eingewiesen worden seien – jetzt seien es zwei Prozent. Die Impfung zeige also Wirkung, aber es seien immer noch 2 Prozent. Ohne Impfung wäre man jetzt aber deutlich höher als bei fünf Prozent Spitaleinweisungen.
Mathys wird noch einmal befragt. Wenn die Lage harte Triagen nötig mache, dann seien auch harte Massnahmen wieder zu diskutieren. Der BAG-Mann erinnert an die Situation von Bergamo vor rund anderthalb Jahren.
Damit meinte Mathys dieses Bild:
Samia Hurst antwortet: Es brauche sechs Wochen bis zu enem vollen Impfschutz. Man müsse den Anstieg der Spitaleinweisungen im Auge behalten, damit das Gesundheitssystem nicht überlastet werde.
Mathys erklärt noch einmal, die Wichtigkeit einer Impfung. «Wenn die Epidemie massiv an Fahrt aufnehmen wird, werden leichte Massnahmen nicht mehr nützen. Aber einen Lockdown wollen wir nicht mehr.» Es müsse jetzt das Ziel sein, die Unentschlossenen zu einer Impfung zu bewegen.
Man diskutiere darüber, könne jetzt aber noch nicht sagen, wann eine Booster-Impfung komme, erklärt Mathys. Er denke, dass Booster-Impfungen mittelfristig in der Schweiz zuur Anwendung kommen werden. Aber dazu brauche es auch Bewilligungen. Im Moment werde vieles abgeklärt.
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Stadler antwortet: Es gibt viele Parameter, die es schwer machen, genaue Szenarien darzulegen. Es gebe momentan keinen Grund, dass sich diese Entwicklung verlangsame. Es müsse sich etwas im System verändern. «Innerhalb eines Monats haben sich die Zahlen von Spitaleinweisungen drei Mal verdoppelt», weiss sie. So sei die Inzidenz von 3 auf 24 gestiegen. Wenn diese Dynamik so weitergehe drohe dem Gesundheitssystem eine Überlastung. Eine solche Dynamik wie während der zweiten Welle gelte es zu verhindern.
Mathys vom BAG antwortet: Wenn man davon ausgehen wolle, dass nicht wieder im grossen Stil Eingriffe verschoben werden müssten, dann sei eine Belastung von höher als 300 Betten durch Covid-19-Patienten sicher nicht machbar. Das Aufschieben von Eingriffen dürfte aber schon vorher beginnen.
Die Auslastung in einzelnen Spitälern sei schon relativ hoch, sagt Mathys noch. Verlegungen seien eine Möglichkeit, dem entgegen zu wirken. Hauri ergänzt dazu, dass es immer wieder zu Verschiebungen bei den Spitälern komme. Das sei ein üblicher Vorgang. Stadler ergänzt, dass die Qualität der Behandlungen abnehmen werde, wenn die Zahl der Patienten und Patientinnen steige.
Die Fragerunde beginnt. Stadler erklärt, warum sie jetzt Taskforce-Präsidentin geworden ist. Sie wolle mit der Hilfe der Wissenschaft eine Antwort auf die Krise geben, sagt sie. Die grosse Herausforderung zum jetzigen Zeitpunkt sei, dass das Gesundheitswesen nicht überlastet werde und die Personen, die sich impfen lassen können und wollen, zu einer Impfung zu bewegen.

Wann genau die Impfstoff-Hilfslieferungen der Schweiz ins Ausland im Rahmen der Covax-Initiative erfolgen, ist noch offen. Für die Weitergabe des Impfstoffes von Astrazeneca braucht es noch eine zusätzliche Vereinbarung, wie Mathys sagte.
Die Schweiz hat dem Covax-Programm vier Millionen Dosen zugesichert. Der bürokratische Prozess dafür ist laut Mathys jedoch noch nicht abgeschlossen. Insofern sei offen, wann diese Dosen in anderen Ländern zur Verfügung stehen würden.
Was mit den restlichen 1,4 Millionen Dosen von AstraZeneca passiere, die die Schweiz reserviert habe, werde sich zeigen, so Mathys. Der Impfstoff sei nach wie vor nicht zugelassen von Swissmedic und damit auch nicht «zentrales Element der Strategie der kommenden Wochen».
Manuel Bessler vom Deza erklärt, wie die Schweiz anderen Ländern hilft. «Es ist ein globales Virus, es braucht globale Lösungsansätze», sagt er. Er erklärt, dass die Schweiz zuletzt viele Hilfsgüter an asiatische Länder geliefert habe. Wichtig sei aber auch, dass diese Hilfsgüter nicht in der Schweiz gebraucht werden. Auch die Botschaften und Konsulate seien eingeweiht, damit die Güter auch bei der Bevölkerung ankommen und richtig verteilt werden.
Hauri ergänzt: Jede und jeder werde früher oder später mit dem Coronavirus in Berührung kommen. Die Nebenwirkungen einer Impfung seien viel weniger gravierend als die Folgen, die eine Corona-Erkrankung haben könne.
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Eine so genannte «Booster-Impfung» wie sie momentan angewandt werde, habe mit einer Auffrischung nichts zu tun, sagt Hauri. Sie gelte für Personen, die erst mit drei Impfungen eine Wirkung erzielen können, wie es bei der breiten Bevölkerung mit zwei Dosen der Fall sei. Wann eine Auffrischungsimpfung im Sinne einer sogenannten 'Booster-Impfung' angesagt sei, sei noch offen.
Tests seien nach wie vor sehr wichtig, ergänzt Hauri. Im Moment würden auch Massentests Sinn machen. Auch das Contact-Tracing bleibe wichtig. «Es lassen sich immer wieder Ausbrüche und Cluster feststellen», sagt Hauri und erwähnt das Beispiel einer Probe einer Band, die zu Ansteckungen geführt habe. Auch die Einhaltung der Hygienemassnahmen seien wichtig.
Hauri betont noch einmal: Die Impfung sei und bleibe der beste Schutz gegen eine Infektion.
Kantonsarzt-Präsident Rudolf Hauri erklärt, dass die Fallzahlen auch steigen, weil die Familien zusammenkommen oder Partys gefeiert werden. Insgesamt zeichnet sich ein Bild ab, dessen Bedeutung noch nicht abzuschätzen sei. Die Virusaktivität zeigt aber nach oben. Es sei deshalb wichtig zu wissen, dass Rückkehrer von Reisen einen grossen Einfluss auf die Corona-Zahlen hätten. Der Zuger spricht jedenfalls nicht von einer vierten Welle, allenfalls sei es eine Zwischenwelle.

Milo Puhan von der Uni Zürich kommt nun zu Wort. Er stellt die neusten Resultate von Corona Immunitas vor. Das Forschungsprojekt beschäftigt sich damit, wie viele Personen eine Immunität gegen Sars-Co-V2 aufgebaut haben. «Dank der Impfung hat die Sero-Prävalenz stark zugenommen.» Bei den über 65-Jährigen sei die Bevölkerung dank der Impfung mittlerweile doch sehr gut geschützt. Puhan sagt, dass die Impfung einen grossen Einfluss hatte. Die Daten der Studie deuten darauf hin, dass der Schutz vor einer weiteren Infektion mit der Impfung höher sei als nach einer durchgemachten Infektion

Tanja Stadler hat nun ihren ersten Auftritt. Dabei formuliert sie drei Ziele: Verhinderung der Überlastung des Gesundheitswesens und dessen Personals, der Schutz der Kinder unter 12 Jahren sowie den Schutz der Menschen mit schlechtem Immunsystem.
Sie sagt, dass primär in dieser Normalisierungsphase das Gesundheitswesen und dessen Personal nicht überlastet werden darf. Ziel einer Impfkampagne sollte es sein, nur die Personen nicht zu impfen, die sich bewusst dagegen entscheiden. Es ist nun das Ziel, Unentschlossene zu erreichen.

Was die Schulen betreffe, so gelte es, die Schulen offen zu lassen, aber die Virus-Zirkulation zu verhindern. Für Kinder sei das Virus weniger gefährlich als für Erwachsene. Aber auch sie könnten unter den Folgen der Pandemie leiden.
Stadler sagt noch: «Sobald wir möglichst genug Immunität aufgebaut haben, entnehmen wir dem Coronavirus den Nährboden. Im Moment zirkuliert das Virus noch zu stark.» Was Menschen mit schlechtem Immunsystem betreffe, so könnten Auffrischungsimpfungen helfen. Doch es brauche dazu Daten.
Mathys erklärt die neue Impfkampagne des BAG. Jetzt sei der richtige Zeitpunkt für eine Impfung. Die Impfung sei immer noch das wirksamste Mittel gegen die Pandemie. Und vor allem ein Mittel, um schwere Vorläufe zu verhindern.

Die Schweiz werde im vierten Quartal nur die Hälfte der bei Moderna bestellten Impfdosen beziehen, sagte Mathys weiter, als rund 500'000 statt eine Million. Es sei auch so genügend Impfstoff vorhanden, um alle zu impfen, die dies wünschten. Die Schweiz wolle ganz bewusst keine grossen Lager aufbauen. Auch die Anpassung der Logistik habe keinen Einfluss auf die Verfügbarkeit der Impfstoffe. Impfstoff sei weltweit äusserst knapp. Also müsse man ihn dort einsetzen, wo er wirklich gebraucht werde.
Mathys sagt noch etwas zum Impfen: Über 10 Millionen Dosen sind geliefert worden. Mindestens 55 Prozent der Bevölkerung sind einmal, 50 Prozent vollständig geimpft worden. Mathys ergänzt: «Es braucht zusätzliche Anstrengungen, um die Unentschlossenen und die Jugendlichen zu erreichen.»
Der BAG-Mann sagt noch, dass man keine grossen Impflager haben wolle. Das sei jüngst kritisiert worden. «Es ist genügend Impfstoff vorhanden, damit alle, die das noch wünschen, geimpft werden können.»
SDA/fal
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