Erste Schritte auf dem Literaturweg
100-jährig wäre Gerhard Meier dieses Jahr geworden. In Niederbipp wird der grosse Poet und Ehrenbürger geehrt: mit einer Ausstellung im Räberstöckli und einem bereits installierten Gedenkpfad.

Und in der mächtigen Linde, die heute noch steht, verfing sich der Himmel, besonders im Herbst, wenn über Amrain hin der Drachenwind zog, die Telegrafenleitungen zu Harfen umfunktionierend, worauf er das Winterlied übte, ganz leise zuerst . . .Fast schien es, als würde man auf dem Rundgang über den Literaturweg nicht nur von Windböen und heftigen Regengüssen begleitet, sondern auch vom Geist des Dichters inspiriert – vielleicht hat gar Gerhard Meier den Drachenwind geschickt?
Die Passagen auf den 21 Texttafeln stammen aus Gerhard Meiers Roman Baur und Bindschädler, sorgfältig ausgewählt von Sohn und Künstler Pedro Meier und Peter Brotschi. Der Stiftungsratspräsident des Kulturvereins Räberstöckli führte durch den Rundgang und gab einige Anekdoten zum Besten. So habe Gerhard Meier seiner Frau Dorli in all den Jahren, als sie beim damaligen Kiosk bei der Post gearbeitet hatte, ein selbst gekochtes Mittagessen gebracht und gemeinsam mit ihr gegessen. Ein Schwarzweissbild zeigt die Kioskfrau, fotografiert von Franz Hohler, einem langjährigen Freund, der an der Vernissage zur Ausstellung mitwirken wird.

Schweizweites Interesse
Wie Marlies Berger, Präsidentin des Kulturvereins Räberstöckli, erzählt, bestehe schon vor der offiziellen Eröffnung schweizweit ein grosses Interesse am Literaturweg. Bereits befindet sich ein informativer Ausstellungsführer im Verkauf. Umso schöner wäre es, wenn der Weg definitiv installiert bleiben könnte, auch weil sich nächstes Jahr der Todestag von Gerhard Meier zum zehnten Mal jährt.
Unter den Spaziergängern befand sich auch der 82-jährige ehemalige Burgerschreiber Jakob Müller, der sich an einige längst verschwundene Gebäude wie das Rote Hotel aus dem Fin de siècle (ehemals Hotel Bahnhof mit Konsum) erinnern konnte oder an Originale wie den Uhrmacher, der nur mit einem Pedal Radfahren konnte, weil ein Bein gelähmt war. Von ebendiesem Albert, der in seinem Uhrmacherheim die Amrainer Zeit vertickte, liest man auf Tafel Nummer drei an der Dorfstrasse.
Bei der nächsten Station erfährt man, wie der Zirkus Wanner neben dem Variété auch den Stummfilm in die Hofstatt am Hintermattweg brachte. Dort sollen die Zaungäste sogar in den Apfelbäumen gesessen haben. Interessantes ist auf der Tafel beim Doktorsträssli zu vernehmen. Der ursprüngliche Besitzer der Doktorvilla, ein Arzt, habe seinerzeit zwei Kirchenfenster gestiftet.
Weltenbürger aus Amrain
Als akkurater Beobachter – achtsam, feinfühlig und besonnen – entdeckte Gerhard Meier die Welt in seinem Dorf, beschrieb selbst winzige Dinge in Sätzen und Bildern zu einer poetischen Realität. Deswegen sind die Orte und Schauplätze nicht historisch oder chronologisch, sondern aus seiner poetischen Betrachtungsweise entstanden. Das kleine Dorf am Jurasüdfuss war sein Universum. Ein Fenster zu allen Orten dieser Welt. All seine Bücher spielen in Amrain – also am Berg, wie er Niederbipp in seiner Prosa liebevoll bezeichnet.
Er liebte die Natur, die Schwalben, Schmetterlinge und Blumen über alles. Jedes Frühjahr pflückte er für seine Ehefrau Dorli ein Sträusschen mit den ersten Massliebchen – welch Liebeserklärung!
Sensibler Provinzler
Die kleine Welt von Niederbipp, aus dem der Dichter erst in späten Jahren einige Reisen unternahm, ist der Schauplatz seiner Gedichte, Kurzprosa und Romane, in denen sich persönliche Wahrnehmungen und Fantasien auf eigenwillige Weise verbinden. Im Zusammenhang mit seinem Schaffen verwendete der Poet gerne das Wort vegetativ: «Alles ist gewachsen, im Fluss des Lebens, der Sprache und der Klänge. Darin besteht die Schönheit der Kunst.»
Gerhard Meier liebte Musik und schrieb in den Amrainer Gesprächen: «Die Welt ist letztlich ein Klang.» Der Schriftsteller Peter Handke bezeichnete die Amrainer Gespräche als eine der «schönsten, genauesten und lehrreichsten Leserreisen». Der Österreicher schrieb einen kurzen Nachruf zum 100. Geburtstag eines Freundes: Dieser steht auf der Tafel beim Geburts- und Wohnhaus des Poeten am Gerhard-Meier-Weg.
100 Jahre Gerhard Meier: Ausstellung Räberstöckli, 27. Mai bis 25. Juni. Vernissage: Samstag, 27. Mai, 17 Uhr, Gast: Franz Hohler.
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