Er war Gott, er war Senna – jetzt ist er ein Ärgernis
Max Verstappen sorgt mit seinen ungestümen Manövern für rote Köpfe in der Formel 1. Er tut das, was er in der harten Schule seines Vaters gelernt hat.

Es geht Max Verstappen nicht um Sympathien. Das wird auch in Montmeló klar, wo sich die Formel 1 zu ihrem ersten Rennen auf europäischem Boden eingefunden hat.
Der Grand Prix von Spanien ist auch der Grand Prix nach Baku, dem Spektakelrennen, dem Feuerwerk auf den Strassen der Hauptstadt Aserbeidschans, auf denen es reichlich Blech- und Karbonschaden gegeben hat. Am heftigsten gerumpelt hat es zwischen ebendiesem Verstappen, 20, Holländer, aggressives Ausnahmetalent, und Daniel Ricciardo, 28, Australier, angriffs- und auch sonst ganz lustig. 40. Runde, Ricciardo kommt von hinten angerast, Verstappen zuckt nach rechts, zuckt nach links, verpönt im Rennsport, es knallt. Es ist das schändliche Ende eines bis dahin unterhaltsamen und manchmal waghalsigen Duells.
Nun ist ein Unfall immer ärgerlich, für den Fahrer, für das Team, doch in diesem Fall, da hat dieser eine besondere Brisanz. Die beiden sind Stallgefährten bei Red Bull, dem Team, das in dieser Saison zum ganz grossen Angriff auf die Phalanx der Werksteams von Mercedes und Ferrari hatte blasen wollen. Und das sich nun, nach vier Rennen, abgeschlagen auf dem 3. Platz wiederfindet, mit 55 Punkten, genau halb so vielen wie Mercedes auf Rang 2. Vor allem wegen der Masslosigkeit seiner Fahrer, oder: eines seiner Fahrer.
Mit 17 verzückte und verblüffte er auf der grössten Bühne
Es ist Samstag, Tag des Qualifyings in Spanien. Helmut Marko steht am Tresen von Red Bull, einen Kaffee in der Hand. Der Grazer ist bei der Mannschaft des Getränkegiganten Motorsportberater und zuständig für den Nachwuchs. Und irgendwie mitverantwortlich für das Ganze. Schliesslich war er es, der Verstappen verpflichtete, als dieser noch fast ein Bub war, der daran glaubte, dass der auch mit 17 schon bereit ist für die ganz grosse Bühne der Formel 1. Er liess sich auf die Schultern klopfen, als der Teenager mit seinen Überholmanövern verzückte, mit seiner Kaltschnäuzigkeit, mit seiner Lust, auch gegen die ganz Grossen und Gestandenen zu kämpfen. Marko stieg mit dem Wunderkind auf das Podest von Montmeló, als dieses 2016 sein allererstes Rennen für Red Bull gleich gewann, nachdem er vom Schwesterteam Toro Rosso befördert worden war.
Verstappen hat die Formel 1 belebt wie kaum einer vor ihm. Er begeistert. Oft. Und er nervt, allen voran seine Gegner. Mit seiner manchmal ungestümen Art, wenn er im Auto sitzt, mit seiner Kritikresistenz. Sein Übername: Mad Max. Mögliche Übersetzung: verrückter, wahnsinniger, irrer, irrsinniger, bekloppter, tobsüchtiger, beknackter Max.
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Video: Ein Zusammenschnitt gefährlicher Rennszenen
Rossi, Marquez und Verstappen: Das hätte ins Auge gehen können. Video: Tamedia/SRF
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Marko also steht am Tresen. Der 75-Jährige zieht die Augenbrauen hoch. Er sagt: «Der Zeitpunkt ist gekommen, an dem er auch einmal die Vernunft vor die Aggressivität stellen müsste. Er muss auch einmal zurückstecken, nicht immer auf das absolut Ganze gehen und jeden Zweikampf gewinnen wollen. Nun lernt er das halt auf die harte Tour.» Doch es gibt eine Menge Zweifel daran, ob Verstappen, dieser Haudrauf, tatsächlich etwas lernt. In der markigen Sprache von Niki Lauda tönt das so: «Normalerweise wächst man an seinen Fehlern. Max aber wird immer kleiner.»
Vom Weltmeister als Dummkopf beschimpft
Es ist in der verstappenschen Welt für gewöhnlich so, dass er erst einmal nichts falsch macht. Unter den Fahrern ist er längst nicht der Einzige mit dieser Grundhaltung. Nur ist sie bei ihm besonders ausgeprägt. Er macht ja in der Formel 1 eigentlich auch nur das, was über Jahre auf den Kartund Formel-3-Strecken immer vorzüglich funktionierte: Er attackiert, auch an Stellen, wo andere nicht einmal im Traum auf die Idee kämen; er wehrt sich gegen Angriffe mit allen Mitteln.
Nur gibt es im Feld der selbsternannten Königsklasse eben nur ganz wenige, die das einfach so mit sich machen lassen. Rumpler und Rempler sind die Folge. Allein in dieser Saison hat Verstappen für eine unschöne Menge an Aufregern gesorgt. Zum Auftakt in Melbourne gab es einen Dreher und die Ansage aus der Box: «Stell sicher, dass du jetzt vernünftig bist.» Es gab in Bahrain die Berührung mit dem Mercedes von Lewis Hamilton, nachdem er diesen angegriffen und in einer Kurve weit nach links gedrängt hatte. Die Antwort des Weltmeisters? «Dummkopf!»
Dann kam China, kamen die nächsten Aufschreie. Red Bull hat seine Fahrer während einer Safety-Car-Phase mit frischen Reifen auf die Jagd nach dem Sieg geschickt. Sie sind derart überlegen, dass die Ränge 1 und 2 bereitliegen. Der eine, Ricciardo, gewinnt. Der andere, Verstappen, wird Fünfter. Erst kollidiert er mit Hamilton, dann mit Vettels Ferrari. Es folgt Baku, das Red-Bull-Desaster.
Marko sagt: «Er war zu ungeduldig, zu aggressiv.» Jos Verstappen, Max' Vater und einstiger Pilot, sagt: «Er muss mehr denken.»
«Mein Vater schlug mir mit voller Wucht auf den Helm»
Dass Max Verstappen so ist, wie er ist, hat viel mit ihm zu tun, dem 107-fachen Grand-Prix-Fahrer, der seinen Sohn durch eine harte Schule gehen liess. Durch seine Schule. Jüngst erzählte Max Verstappen gegenüber «Auto Bild Motorsport» diese Geschichte: Bei einem Kart-Rennen habe er einmal «keinen Bock» gehabt. «Mein Vater merkte mir das beim Fahren an, holte mich in die Boxengasse und schlug mir mit voller Wucht auf den Helm.» Er drohte zudem mit der Abreise. Die Reaktion des Juniors: Er gewann sämtliche sechs Vorläufe, den Halbfinal und den Final.
Manchmal frage ihn sein Vater heute noch, ob er ihm wieder auf den Helm hauen soll, damit er schneller werde – aus Spass. Es ist eine eigenartige Auffassung von Humor. Max Verstappen sagt: «Ich hatte den härtesten Lehrer überhaupt. Wenn jemand wütend ist auf mich oder mich kritisiert, wirft mich das nicht um.» Vielmehr prallt Kritik an ihm ab.
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Video: Der Dreher von Vettel und Verstappen
Der Holländer und der Deutsche gerieten aneinander. Video: Tamedia/SRF
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Jos Verstappen sagt: «Wenn man es mit einem jungen Fahrer richtig machen will, dann muss man ganz intensiv mit ihm arbeiten – tagein, tagaus. Man betreut und formt ihn. Man macht ihn so, wie man ihn haben will.» Und sein Sohn, der nach der Scheidung von Max' Mutter Sophie Kumpen vor zehn Jahren bei ihm lebte, ist eben in vielem so, wie er ihn haben wollte. Er ist selbstbewusst, «ein Egoist bis an die Grenze der Fairness», wie es Marko sagt, und er tut auf der Rennpiste oft das, was ihm sein Vater beigebracht hat.
Er durfte nur dort überholen, wo es sonst niemand tat
Mit viereinhalb Jahren hatte er den kleinen Max erstmals in einen Kart gesetzt – und verbot ihm in der Folge, dort zu attackieren, wo es die anderen tun, etwa auf Geraden. Aufregende Manöver sind bis heute Verstappens Markenzeichen. «Überholkönig» wurde er genannt, nachdem er in der Saison 2016 78-mal an einem Gegner vorbeigezogen war. Seit 1983 werden diese Daten erhoben – noch nie hat einer öfter überholt.
Dann war er im vergangenen Jahr auch noch der «Regengott», weil er in China auf nasser Strecke von Rang 16 aus aufs Podest gefahren war. Auch das hatte mehr mit Schulung denn mit Zufall zu tun. Während die anderen Buben bei Regen ihre Karts mit entsprechenden Reifen ausrüsteten, musste Verstappen junior mit profillosen Slicks seine Runden drehen. Damon Hill, der Weltmeister von 1996, frohlockte in China: «Das ist Senna! Das ist das, was Senna tun würde.» Christian Horner, der Teamchef bei Red Bull, sagte: «Für mich gehört er in eine Reihe mit den ganz Grossen der Geschichte, mit Schumacher und Senna.»
Die Lobhudeleien, die Vergleiche mit den Helden dieses Sports, sie waren nicht unbedingt das, was ein Teenager mit ohnehin schon reichlich grossem Ego dazu bringen würde, sich auch einmal zu hinterfragen, auch einmal die Vernunft vor die Aggressivität zu stellen, wie es Helmut Marko wünscht.
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Video: Verstappens wilder Ritt
Bereits im Jahr 2016 ärgerte Verstappen Vettel. Video: Tamedia/SRF
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Hoffnung dürfte dem Österreicher machen, dass sich Verstappen in anderer Sache als gar nicht so lernresistent erwies. Nach seinem Rempler gegen Vettel in China entschuldigte er sich artig beim vierfachen Weltmeister. Selbstredend musste er das auch nach dem Doppelausfall von Baku tun. Zusammen mit Ricciardo stand er im Werk in Milton Keynes vor die Belegschaft und erklärte sich.
Ricciardo unterhält, Verstappen bleibt einsilbig
Ein paar Tage später sitzt er in Spanien auf einem Hocker vor den Journalisten. Zuvor hat Ricciardo geredet und seine Zuhörer mit «What's up bitches?» begrüsst – «was ist los, ihr Miststücke?». Der Australier mit dem Lockenkopf hat auch sonst gut unterhalten. Und er sagte: «Irgendwie war das unvermeidlich. Ich hatte schon vor dem Unfall das Gefühl, dass etwas passieren könnte. Wir müssen sicherstellen, dass so etwas nie wieder vorkommt.»
Auftritt Verstappen, Stichwort «Sympathien»: ernster Blick, einsilbige Antworten. Wie würde das Rennen enden, wenn er es noch einmal fahren könnte? «Wir würden gewinnen.» Wie ist das Verhältnis zu Ricciardo? «Gut.» Wie wollen Sie einen solchen Vorfall künftig vermeiden? «Indem wir uns etwas mehr Platz lassen. Vielleicht zwei oder drei Millimeter.» Teamchef Christian Horner sprach von einer 50:50-Schuld, was denken Sie? «Das spielt keine Rolle. Wir sind zusammengekracht.» Aber Sie müssen doch eine Meinung haben. «Wir sind zusammengekracht, da ist meine Meinung irrelevant.» Haben Sie einmal zu viel die Richtung gewechselt, als Ricciardo angriff? «Das ist mir egal. Es ändert nichts am Unfall.»
Auch dieser führte dazu, dass Verstappen nun Achter ist in der WM, anstatt um den Titel zu kämpfen. Fährt er so weiter, wird er das kaum je tun können. Es wäre bedauerlich für einen Piloten seiner Klasse und dieses – fahrerischen – Unterhaltungswerts.
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