Ein Seelenstriptease, der keiner war
Seine mit Spannung erwartete Parteitagsrede in Tampa sollte Mitt Romney die Gelegenheit zum Menscheln geben. Er entblösste seine Seele ein wenig, am Ende aber trat der dunkel dräuende Geschäftsmann in den Vordergrund.
Der Mann ist eine wandelnde Bügelfalte: Stets wie aus dem Ei gepellt, antiseptisch wie schlechte Lyrik. Von Charlotte im Staat North Carolina besehen, wo ab Montag die Demokratische Partei zu ihrem Präsidentschaftskongress einlaufen wird, musste der republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney gestern Nacht mit seiner grossen Rede vor den republikanischen Delegierten in Tampa vor allem eines bewerkstelligen: Sich ein wenig in die Herzen der Amerikaner zu schleichen und zu einem Nachbarn für die zig Millionen zu werden, die Romney im TV zusahen.
Dass der Republikaner kompetent ist, steht ausser Frage. Doch nach zwei Anläufen und insgesamt sechs Jahren, in denen Willard Mitt Romney um die Gunst der Wähler buhlte und buhlt, ist er ein unbeschriebenes Blatt, ja schlimmer noch: Seinen demokratischen Kontrahenten, den Präsidenten, mögen die Amerikaner im Grossen und Ganzen, ihn hingegen mögen sie nicht sonderlich.
«Lügner», «abgehoben», «kühl»
Am Tag vor Romneys Rede hatte die «Washington Post» die Ergebnisse einer interessanten Erhebung vorgelegt: Mit einem einzigen Wort sollten die Befragten den republikanischen Präsidentschaftskandidaten charakterisieren, worauf 28 Prozent ein positives Etikett wählten, über 40 Prozent indes aber wenig schmeichelhafte Beschreibungen: «Lügner» und «arrogant», «abgehoben» und «kühl».
Darum ging es also gestern Abend in Tampa: Der Fremde sollte ein wenig menscheln und der amerikanischen TV-Gemeinde seine Befindlichkeit vermitteln. Zum netten Menschen von nebenan sollte er mutieren, mit dem man gern ein Bier tränke, obschon Willard, der Mormone, keinen Alkohol anrührt. Und so stand er dann, zur allerbesten Sendezeit, im dunklen Anzug und einer rotgestreiften Krawatte auf der Bühne in Tampa und sah aus, als spiele er bereits den Präsidenten – in einem Hollywood-Film.
Vor sich hatte Romney einen Parteitag, der seltsam un-amerikanisch daherkam, weil überwiegend von weisser Hautfarbe. Und er bot sich ihnen und der in amerikanischen Wohnzimmern versammelten Wählerschaft als der an, an dessen Geschäftstüchtigkeit Amerika genesen werde: Ein versierter Businessmanager möchte er sein, der das lahmende amerikanische Unternehmen wieder in Schwung bringen und den amerikanischen Traum neuerlich hervor zaubern wird.
Wohldosierte Einblicke ins private Sanktum
Er beschwor den Geist Neil Armstrongs und den Geist Amerikas und sprach in bewegenden Worten über seine mormonischen Grosseltern und Eltern und entblösste dabei nostalgisch seine Seele und seine Emotionen wie selten zuvor. Er pries die «liebenden Herzen der Väter und Mütter» und gewann gewiss neue Sympathien damit. Und klug besang er die Amerikanerinnen, deren politische Liebe ihm bislang nicht gerade zugeflogen ist.
Familie, Kinder, Geborgenheit, die Opfer von Ehefrau Ann, die fünf Söhne grosszog, das Leben in der mormonischen Gemeinschaft: Die Idyllen des amerikanischen Lebens, wie sie in den TV-Sitcoms der Fünfzigerjahre gepflegt wurden, breitete Romney aus, um sie sodann mit der Obama-Realität zu kontrastieren. Denn Obama, so Romneys fundamentaler Vorwurf, den er gestern Nacht in Tampa zum zigtausendsten Male artikulierte, habe keine Erfahrung als Geschäftsmann gehabt.
Willard Mitt Romney mag uns ein bisschen – wohldosiert! – in sein privates Sanktum schauen lassen, sein Bewerbungsschreiben für den Job im Weissen Haus ist indes von eher prosaischem Zuschnitt: Er ist Geschäftsmann, weshalb er richten wird, was der schlaue Professor und Dilettant im Weissen Haus vermasselt hat. So zog er in manchem zu Recht, in manchem ungerecht über Obama her, die Antwort auf die Frage, wer er denn sei, blieb er jedoch schuldig.
Ein verschwommenes Bild ohne Schärfe
Was Romney wirklich antreibt und wohin es ihn treibt: Man erahnt es, doch selbst in seinem bislang grössten politischen Moment gestern Nacht in Tampa blieb er seltsam konturlos, ein verschwommenes Bild ohne Schärfe. Die kommenden Wochen werden zeigen, ob sich die Wählerschaft damit anfreunden kann. Und ob sie obendrein das laute Säbelrasseln goutiert, mit dem Romney die Umrisse seiner Aussenpolitik skizzierte. Russland und der Iran, China und sonst wer: Der Geschäftsmann möchte ihnen saftige Rechnungen präsentieren, so er tatsächlich im Weissen Haus landet.
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