Ein düsterer Teil Schweizer Geschichte soll aufgearbeitet werden
Bis 1981 war es möglich, Menschen ohne Urteil oder psychiatrisches Gutachten wegzusperren. Die Rehabilitierung «administrativ Versorgter» soll nun auch gesetzlich verankert werden. Eine Partei will dies aber nicht.

Die Rehabilitierung «administrativ Versorgter» soll auch gesetzlich verankert werden. Diese Absicht wird in der Vernehmlassung begrüsst – ausser von der SVP. Diese sagt, auch ein Gesetz könne das begangene Unrecht nicht wieder gutmachen.
Es ist eines der düsteren Kapitel der Schweizer Geschichte: Bis 1981 war es möglich, Menschen auch ohne Gerichtsurteil oder psychiatrisches Gutachten wegzusperren, sei es wegen «Arbeitsscheu», «lasterhaften Lebenswandels» oder «Liederlichkeit»; betroffen waren vor allem junge Menschen.
Für die Einweisung in eine Anstalt waren in der Regel Verwaltungsbehörden zuständig; deshalb wird von «administrativer Versorgung» gesprochen. Tausende wurden auf diesem Weg weggesperrt, weil ihr Verhalten nicht den damaligen Normen entsprach.
Oft wurden junge Frauen und Männer in Strafanstalten eingewiesen, wo sie von den Straftätern nicht getrennt waren. Nach der Entlassung trugen sie das Stigma, im Gefängnis gewesen zu sein.
Bundesrat entschuldigte sich
Im Herbst 2010 leistete der Bund öffentlich Abbitte. «Ich möchte in aller Form um Entschuldigung bitten..», sagte die damalige Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf an einem als «moralische Wiedergutmachung» organisierten Gedenkanlass.
Nun soll ein Bundesgesetz die Rehabilitierung der Betroffenen vorantreiben. Die Rechtskommission des Nationalrats arbeitete einen Entwurf aus und schickte diesen bis am 22. Februar in die Vernehmlassung.
Böse Zungen sagen, mit dem Gesetz sollten vor allem Entschädigungsforderungen verhindert werden. Im Entwurf wird der «Ausschluss finanzieller Ansprüche» denn auch ausdrücklich festgehalten. Aus der Anerkennung des Unrechts «entsteht kein Anspruch auf Schadenersatz, Genugtuung oder sonstige finanzielle Leistungen», heisst es in Artikel 4.
Dieser Punkt wird in etlichen Stellungnahmen ausdrücklich begrüsst, so etwa seitens der CVP oder der FDP; der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) sähe gerne zumindest eine symbolische finanzielle Entschädigung.
Betroffene wie der Verein «Rehabilitierung der Administrativ Versorgten» (RAVIA) weisen allerdings darauf hin, dass in den Erläuterungen zu Artikel 4 eine finanzielle Wiedergutmachung durch Kantone oder Gemeinden explizit offen gelassen werde.
RAVIA fordert ausserdem die Einrichtung eines Härtefallfonds für bedürftige Betroffene. Zudem möchte der Verein, dass der Bund eine Anlaufstelle mit kostenloser Beratung einrichtet – ein Anliegen, das auch vom SGB und der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen unterstützt wird.
Historische Aufarbeitung
Ein anderer Gesetzesartikel widmet sich der historischen Aufarbeitung, sei es durch eine unabhängige Expertengruppe oder durch den Schweizerischen Nationalfonds. Die Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmer bevorzugt die Einsetzung einer Expertenkommission.
Geregelt werden soll auch das Recht auf Akteneinsicht für Betroffene und die mit der historischen Aufarbeitung befassten Personen. Hierzu wurden Vorbehalte laut, etwa seitens der Zuger Regierung: Noch lebende Betroffene müssten vorgängig angefragt werden, ob ihre Akten zugänglich gemacht werden dürften.
Mehrere Vernehmlassungsteilnehmer würden es begrüssen, wenn das Gesetz auf weitere Menschen ausgedehnt würde, die Zwangsmassnahmen erlitten, zum Beispiel auf unverheiratete Mütter, denen die Kinder weggenommen wurden, auf Zwangssterilisierte oder auf Verdingkinder.
Die SVP lehnt das geplante Gesetz ab. Sie anerkennt zwar, dass den Betroffenen viel Leid zugefügt wurde. Ein Gesetz könne das Unrecht aber auch nicht wieder gutmachen. Nichts einzuwenden hat die SVP gegen eine Anerkennung des Unrechts und gegen eine historische Aufarbeitung dieses Themas. Beides sei aber auch ohne Bundesgesetz möglich.
SDA/kpn
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