Kopflose Jihadisten
Die USA bildeten Gulmurod Chalimow im Antiterrorkampf aus, dann lief der zum IS über. Nun wurde die Nummer zwei der Terrormiliz offenbar bei einem Luftschlag getötet.

Dutzende Anführer des Islamischen Staates seien bei Luftangriffen gegen die Terrormiliz in Syrien getötet worden, erklärt der russische Generalstab in Moskau. Ziel der Angriffe sei ein Bunker in der Stadt Deir al-Zor gewesen, die in den letzten Tagen heftig umkämpft war. Die IS-Führung habe sich dort zu Beratungen versammelt. Unter den Getöteten sei auch Gulmurod Chalimow, den das russische Militär als «Kriegsminister» des IS bezeichnete. Bestens bekannt auch in den USA: Washington hatte ein Kopfgeld von 3 Millionen Dollar auf den Ex-Polizeioffizier ausgesetzt.
Chalimow stammt aus der ehemaligen Sowjetrepublik Tadschikistan, wo er Mitglied der Omon-Truppen war, der Spezialeinheiten des Innenministeriums. Nach den Terroranschlägen 2001 in den USA wurden in dem Land, das an Afghanistan grenzt, US-Soldaten stationiert, und Washington bildete lokale Sicherheitskräfte im Antiterrorkampf aus. Unter ihnen war auch Chalimow, der 2003 bis 2014 mehrere amerikanische Ausbildungskurse besuchte.
Attentäter aus Tadschikistan
Mindestens drei davon fanden in den USA statt. Zum Unterricht gehörte alles, was Chalimow später beim IS brauchen konnte: Terrorabwehr, Häuserkampf, Ausbildung zum Scharfschützen. Der Unterricht fand teilweise auch bei Blackwater statt, der umstrittenen privaten Sicherheitsfirma, die 2007 im Irak bei einer Konvoisicherung Zivilisten unter Feuer nahm und 17 Menschen tötete.
2015 tauchte Chalimow unter und schloss sich dem IS in Syrien an. Ein Jahr später wurde der damals 41-Jährige zum «Kriegsminister» und damit zur Nummer zwei der Terrormiliz ernannt. Er folgte Omar al-Shishani nach, einem ethnischen Tschetschenen aus der ehemaligen Sowjetrepublik Georgien, der bei einem amerikanischen Luftschlag getötet wurde. Auch er hatte in seiner Heimat ein US-Ausbildungsprogramm genossen und dort als Musterschüler gegolten. Nach dem Tod von IS-Chef Baghdadi, der allerdings noch immer nicht zweifelsfrei feststeht, soll Chalimow dann zum Chef des IS avanciert sein.
Auf einem Video rechtfertigte Chalimow sein Überlaufen zum IS. Die Amerikaner seien «Schweine», sagte er. Er sei dreimal in den USA gewesen und wisse genau, wie die US-Soldaten ausgebildet und trainiert werden, damit sie «Muslime töten». «Mit Gottes Hilfe werde ich mit Waffen in eure Städte kommen, in eure Häuser, und wir werden euch töten», drohte er den USA.
Seinem Heimatland versprach er, zurückzukehren, um das islamische Recht einzuführen. «Präsident und Minister, wenn ihr wüsstet, wie viele unserer Jungs hier sind, die sehnsüchtig darauf warten, nach Tadschikistan zurückzukehren.» Die Tadschiken in Russland, wo sich Hunderttausende als Gastarbeiter verdingt haben, rief Chalimow auf, «Sklaven Allahs» zu werden und nicht «Sklaven der Ungläubigen» zu bleiben.
In Russland arbeiten rund 1 Million Tadschiken; ohne ihr Geld könnte ihre verarmte Heimat nicht überleben. Die Gastarbeiter sind entwurzelt, manche wenden sich in ihrem Elend der Religion zu, manche von ihnen auch dem Jihad. Unter den ausländischen Selbstmordattentätern des IS stellten die Tadschiken gemäss einer Studie letztes Jahr die mit Abstand grösste Gruppe. Mindestens 27 Tadschiken sprengten sich 2016 für den Islamischen Staat in die Luft, gefolgt von 17 Marokkanern und 14 Tunesiern. Attentäter kommen auch aus anderen zentralasiatischen Ländern. Kirgisen und Usbeken etwa haben im April den Anschlag auf die Petersburger Metro verübt und letztes Jahr auf Istanbuls Flughafen tödliche Bomben gezündet.
Männer mit Gewalt rasiert
Im zu 90 Prozent islamischen Tadschikistan ist Religion ein heikles Thema. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion kam es zu einem blutigen Machtkampf und zum Bürgerkrieg; bis zu 100'000 Menschen starben. Die Clans im Land hatten sich gegen die alten sowjetischen Kader aufgelehnt, die versuchten, ihre Macht zu retten.
Federführend war in der Opposition die Islamische Partei der Wiedergeburt Tadschikistans. Ihr wurde im Friedensvertrag von 1997 eine fixe Regierungsbeteiligung zugesichert. Obwohl in der islamischen Partei die moderaten Kräfte die Führung übernahmen, wurde sie vom immer autoritärer regierenden Präsidenten Emomali Rachmon an den Rand gedrängt. 2014 verbot Rachmon die Partei schliesslich; ein Jahr später wurde sie zu einer terroristischen Gruppe erklärt, und ihre Anführer wurden verhaftet.
Auf der Strasse nahm die Polizei Tausende Männer mit Bärten fest und schleppte sie zur Zwangsrasur. Dabei gingen sie zum Teil mit brachialer Gewalt vor, ein junger Student wurde totgeschlagen. Diesen Monat hat Tadschikistan eine neue Kleidervorschrift für Frauen erlassen. Demnach dürfen Kopftücher nicht wie ein Hijab den Hals verhüllen, sondern müssen am Hinterkopf zu einem Knoten gebunden werden.
Beobachter sind sich einig, dass solche Zwangsmassnahmen die Stimmung unter den gläubigen Muslimen nur noch angeheizt haben. Nach dem Verbot der Wiedergeburtspartei etwa stieg die Zahl der Tadschiken, die in den Jihad reisten, sprunghaft an. Unter ihnen war auch Gulmurod Chalimow.
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