Die Leiche des Diktators befeuert den Wahlkampf
Soll Franco umgebettet werden? Die Frage hat in Spanien eine heftige Debatte zwischen Linken und Rechten ausgelöst.

Im 44. Jahr nach seinem Tod ist der Diktator Francisco Franco völlig ungeplant Streitthema im spanischen Wahlkampf geworden. Die spanische Regierung, gestellt von der Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE), hatte im März den Termin für die Umbettung der sterblichen Überreste Francos bekannt gegeben: den 10. Juni, unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne Medien.
Gestritten wird nicht über die Bewertung der Diktatur. Denn alle grossen Parteien sind sich weitgehend einig darin, dass Spanien unter Franco ein Unrechtsstaat war. Auch die Führer der konservativen Volkspartei (PP), die aus einer franquistischen Gruppierung hervorgegangen ist, bestreiten dies nicht. Im Parlament hat sich die PP bei der Abstimmung über die Exhumierung der Stimme enthalten.
Kernpunkt des Streits ist die Bewertung des Eingreifens Francos in den Bürgerkrieg.
Gegenstand des Parteienstreits vor den vorgezogenen Parlamentswahlen am Sonntag ist vielmehr die Art und Weise, wie das Kabinett Sánchez versucht hat, diesen Plan umzusetzen. Die Schlagwörter der Opposition reichen von «Stümperei» bis zu «Rechtsbruch». Für hitzige Debatten sorgen auch die Versuche der sozialistischen Kulturpolitiker, die Gegner Francos im Bürgerkrieg (1936–1939) kollektiv zu heroisieren und moralisch zu überhöhen.
Kernpunkt des Streits ist die Bewertung des Eingreifens Francos in den Bürgerkrieg. Das linke Lager verurteilt den nationalkatholischen General, dessen Truppen von Hitler und Mussolini massiv unterstützt wurden, als faschistischen Rebellen, der die verfassungsmässige Ordnung, nämlich die Republik, zerstört hat. Das rechte Lager aber sieht in ihm das kleinere Übel angesichts der Versuche von aus Moskau entsandten Politkommissaren, in Spanien ein stalinistisches Regime zu errichten.
Die stalinistische Bedrohung
An der Puerta de Alcalá, einem neoklassizistischen Triumphbogen im Zentrum von Madrid, hingen zu Beginn des Bürgerkriegs grosse Plakate mit den Porträts Stalins und anderer Sowjetführer. Die Verteidiger der Rebellion Francos erinnern daran, dass der Bürgerkrieg in denselben Jahren wie die stalinschen Säuberungen in der Sowjetunion stattfand und dass rote Verbände Tausende von Vertretern der bürgerlichen Ordnung, darunter Politiker und Priester, im Madrider Vorort Paracuellos sowie an vielen anderen Orten erschossen haben. Auch ist sehr gut dokumentiert, dass von Moskau gesteuerte Verbände unter anderen linken Gruppierungen, die sie als politische Konkurrenten ansahen, ein Blutbad anrichteten – vor allem in Katalonien.
Ein riesiges weisses Kreuz auf dem Hang eines grünen Hügels markiert das Massengrab von Paracuellos; es ist rechts von der Startbahn des Flughafens Madrid-Barajas gut auszumachen. Das Kreuz von Paracuellos wurde zum Symbol und zum Argument gegen die Verklärung der roten Volksfront, die nicht nur die Faschisten, sondern auch die gemässigten bürgerlichen Gruppierungen als Feinde ansah.

Für die Linken hingegen wurde das 150 Meter hohe Betonkreuz über dem Tal der Gefallenen 50 Kilometer nordwestlich von Madrid zum Symbol für den franquistischen Terror und Zynismus. Das gewaltige Kreuz steht über einer von Zwangsarbeitern in den Fels gehauenen riesigen Höhlenkirche – und dort befindet sich hinter dem Hauptaltar das Grab Francos. So bewegt sich die Debatte über den Caudillo zwischen diesen beiden gigantischen Kreuzen.
Premierminister Sánchez hatte kurz nach seinem Amtsantritt im Juni 2018 angekündigt, dass er die Umbettung Francos zügig durchsetzen wolle. Doch dann machte eine Nachricht die Runde, die sein Minderheitskabinett völlig unvorbereitet traf: Die mittlerweile verstorbene Tochter Francos hatte ein Familiengrab in der Krypta der Almudena-Kathedrale neben dem Madrider Königsschloss erworben. Der Erzbischof von Madrid, Kardinal Carlos Osoro, schockierte Sánchez und seine Mitstreiter mit der banalen Feststellung, dass es kirchenrechtlich keine Handhabe gebe, eine Beisetzung des Sarkophags in dieser Krypta zu verbieten. Francos Grabstätte im Herzen von Madrid statt im abgelegenen Tal der Gefallenen – dies würde eine beispiellose Niederlage für Sánchez bedeuten.
Benediktiner stellen sich quer
Hinzu kommt, dass die Benediktiner, die Hausherren der Felsenkirche mit dem Grab Francos, sich gegen eine «Störung der Totenruhe» verwahren. Sie liessen sich auch nicht von der Drohung beeindrucken, dass die Regierung den 1958 geschlossenen Vertrag über die Überlassung der Liegenschaften im Tal der Gefallenen an die Benediktiner kündigen werde.
Schliesslich schickte Sánchez die stellvertretende Premierministerin Carmen Calvo im Herbst in den Vatikan. Sie kam mit der Botschaft zurück, dass die Kirche einer Umbettung Francos nicht im Wege stehen werde. Im Februar bekam sie einen Brief des Regierungschefs des Vatikans, des Kardinalstaatssekretärs Pietro Parolin. Stolz verkündete sie, dass sie den Vatikan dazu gebracht habe, noch einen Schritt weiterzugehen: Die katholische Kirche, von Franco einst privilegiert, unterstütze nun aktiv den Plan der Regierung und werde auch die Benediktiner zur Räson bringen.
Doch vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass Calvo einen Nebensatz aus dem Brief des Vatikans unterschlagen hatte, der die Dinge in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt. Er lautet: «Sofern die beteiligten Parteien einen Konsens darüber erzielen.» Davon ist man in Madrid weit entfernt: Die Benediktiner verweisen auf das Konkordat, das dem Staat das Eingreifen in Kirchenräume verbietet.
Exhumierungsplan für unzureichend erklärt
Francos Enkel haben gegen den Kabinettsbeschluss beim obersten Gericht Klage eingereicht. Die Richter müssen nun prüfen, ob die Regierung das Recht hat, das Grab in der Felsenbasilika aufzuheben und eine neue Grablegung in der Krypta der Madrider Kathedrale zu verbieten. Es sind Fragen, die fundamental an das Verhältnis von Kirche und Staat rühren, es wird mit einem langen Verfahren gerechnet. Hinzu kommt, dass ein kleiner Bezirksrichter den Exhumierungsplan der Regierung für unzureichend erklärt hat, da er keine Angaben zur technischen Sicherheit der Arbeiten enthält.
Mitglieder des Kabinetts Sánchez sprachen von «Obstruktion», nicht ohne Grund: Im Justizapparat sitzen an den entscheidenden Stellen Parteigänger der konservativen PP. Und diese nutzt alle Verzögerungen und Pannen, um Sánchez vorzuhalten, zwar grosse Töne von sich zu geben, aber als Regierungschef die Regeln des Rechtsstaats nicht zu verstehen oder sie gar zu missachten.
Die Spitzenleute der rechtsliberalen Bürgerpartei Ciudadanos sprechen sich zwar ebenfalls dafür aus, das Tal der Gefallenen zu einer Gedenkstätte aller Opfer des Bürgerkriegs umzuwandeln und Francos Grab in der Felsenkirche aufzuheben, aber sie nutzen die Gelegenheit, Sánchez als Amateur vorzuführen, der zwar vieles ankündigt, aber nichts erreicht.
Exhumierung unter Zeitdruck
Allen Widerständen zum Trotz gab Carmen Calvo nun bekannt, dass am 10.Juni die Exhumierung stattfinden werde. Die letzte Ruhestätte Francos werde der Friedhof von Mingorrubio am Nordrand Madrids sein, der der Behörde für nationales Kulturerbe gehört. Im nahe gelegenen Pardo-Palast hatte Franco residiert, auf dem Friedhof ist auch seine Frau begraben.
Zwar ist nicht auszuschliessen, dass die Regierung Sánchez die Wahlen an diesem Sonntag verliert. Doch geht man in seinem Kabinett davon aus, dass die Bildung einer neuen Regierung lange dauern, Sánchez also am 10. Juni noch geschäftsführend im Amt sein wird. Sollte er danach nach nur einem Jahr im Amt abtreten müssen, so hätte er sich wenigstens mit der Umbettung Francos in die spanischen Geschichtsbücher eingeschrieben.
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