Podcast «BZ us dr Box»Die eine blieb im Dorf, die andere zog in die Stadt
Die Berner SP-Stadträtin Lena Allenspach spricht mit ihrer Sandkastenfreundin und Tourismusfachfrau Seline Wegmüller über die Landflucht in ihrem Heimatdorf Wengen.
«Wir haben viel mit unseren Barbies gespielt. Sehr viel.» Lena Allenspach muss lachen, als sie einen typischen Nachmittag gemeinsam mit ihrer Sandkastenfreundin Seline Wegmüller beschreibt. Damals, Ende der 90er-Jahre in Wengen, wo die heute 29-jährigen Frauen zusammen aufgewachsen, in den Kindergarten und in die Schule gegangen sind.
Nebst Barbies schwärmten sie für die Spice Girls, später für die No Angels, kickten im Sommer gemeinsam für den FC Wengen und machten im Winter mit dem Skiclub die Pisten in der Jungfrauregion unsicher. Und als Jugendliche zogen sie während der Hochsaison im Winter durch die Clubs, für die sogar die Jugend aus Lauterbrunnen und Interlaken extra anreiste, wie Allenspach erzählt.
Etwas, das es heute im weltweit berühmten Skiort im Berner Oberland so nicht mehr gibt. Das habe sich aber nicht erst mit der Pandemie gewandelt, sagt die Neo-Politikerin, die seit Anfang Jahr für die SP im Berner Stadtrat sitzt.

Das 1373-Seelen-Dorf, das zur Gemeinde Lauterbrunnen gehört, ist wie die meisten ländlichen Ortschaften in der Schweiz von der Landflucht betroffen. «Die Bevölkerung zieht es das Wasser entlang, also talauswärts», sagte Rolf Possel, Schulleiter von Wengen, im Mai gegenüber dieser Zeitung.
Genau das war bei Allenspach der Fall. Vor knapp zehn Jahren zog sie nach Bern. Für ihr Studium in Sozialarbeit und -politik in Freiburg und Politologie in Bern. «Ein Weg allein hätte bereits zwei Zugstunden gedauert», lautet ihre pragmatische Begründung. Aber sie habe sich schon immer eher in der Stadt gesehen, gibt sie sogleich unumwunden zu. Und wie viel hat ihre politische Gesinnung mit dem Weggang aus dem Dorf zu tun, in dem der SVP-Wähleranteil 2019 bei 40 Prozent lag?
«Ich habe mich in Wengen nie unwohl gefühlt wegen meiner politischen Meinung.»
«Ich habe mich in Wengen nie unwohl gefühlt wegen meiner politischen Meinung», sagt die stellvertretende Leiterin Kommunikation der Gewerkschaft Syndicom. Als sie letzten November mit einem Glanzresultat auf Anhieb in den Berner Stadtrat gewählt wurde, kamen auch viele Gratulationen aus ihrem ehemaligen Wohnort.
Auch Seline Wegmüller zog es flussabwärts – jedoch immer nur zwischenzeitlich. Für Sprachaufenthalte ging sie nach Brighton und Nizza. Obwohl sie die Atmosphäre in den grossen Städten durchaus genoss, hat sie sich ausser in Wengen nie irgendwo zu Hause gefühlt. Sie führt ihre stetige Rückkehr aber auch auf ihre Hobbys Ski- und Bikefahren zurück. «Für so jemanden ist ein Dorf in den Bergen der perfekte Ort zum Leben», sagt sie und zuckt mit den Schultern.
Und auch ihr beruflicher Weg führte sie immer wieder zurück in die Berge. Seit fünf Jahren arbeitet die ausgebildete Tourismusfachfrau im Büro der örtlichen Skischule. Momentan entwickelt sie gerade ein Bikekonzept. Und springt im Winter auch mal als Ski- oder Snowboardlehrerin ein.
So sehr ihr die Bedingungen in Wengen zusagen, auch Wegmüller ist persönlich von der Landflucht betroffen. «Es ist sehr schwierig, hier einen Job zu finden, der einem gefällt und wo man sich weiterentwickeln kann.» Das Angebot in Wengen sei generell sehr eingeschränkt. Und ein weiterer Grund, warum viele Junge aus Wengen weggingen, sei die Tatsache, dass das Dorf nur mit der Bergbahn erreichbar ist. «Und ich kann nicht wie Lena abends asiatisch essen oder in der Turnhalle-Bar oder sonst einem Café etwas trinken gehen.»
Vereinigung junger Leute in Wengen
Aber das will Wegmüller ändern. So verschieden die Leben der beiden jungen Frauen, die bis heute eng befreundet sind, auf den ersten Blick erscheinen, sind sie nicht. Nicht nur Allenspach setzt sich für die Bevölkerung in ihrem Wohnort ein. «Ich habe mich mit ein paar Leuten zwischen 20 und 35 Jahren hier oben zusammengeschlossen, um die Vielfalt zu fördern und die Tradition wieder aufleben zu lassen», erzählt Wegmüller. Etwa für den «Achermärit» oder den Dorfsonntag, wo früher jedes Gewerbe einen Wagen für den Umzug gestellt und es am Ende ein grosses Fest gegeben habe, hätten irgendwann die Organisatoren gefehlt.
Für ein Tennisturnier diesen Sommer und ein Oktoberfest im Herbst konnten sich jedoch aus der neuen Vereinigung bereits Leute finden, die die Organisation übernehmen. Und sie haben noch mehr vor. Der Weg ihrer Freundin über die Politik ist für Wegmüller aktuell kein Thema. Sie hofft auf jemand anderen aus der Gruppe. «Aber ich möchte unbedingt etwas ändern, und wenn es sich mal ergeben sollte, dann kann ich mir schon vorstellen, den Schritt in den Gemeinderat zu machen.»
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