Technik in der MedizinDiese Impfapp hat Deutschland, doch in der Schweiz fehlt sie
Eine App befragt deutsche Geimpfte noch Monate später nach der Wirkung. In der Schweiz gibts das nicht. Dennoch hoffen Ärztinnen und Ärzte auf einen Digitalisierungsschub.

In Deutschland können sich Covid-Geimpfte per App überwachen lassen. Über eine halbe Million Personen nehmen mit ihrem Smartphone an dieser Echtzeit-Überwachungsstudie zu Sicherheit und Wirksamkeit der Impfstoffe teil. Sie müssen sich mit Alter und Geschlecht registrieren, und die Safe-Vac-App befragt sie direkt nach der ersten und zweiten Impfung mehrmals über ihren Gesundheitszustand.
Sechs und zwölf Monate nach der Grundimpfung sollen die Geimpften erneut Auskunft geben, wie es ihnen geht. Zugesichert wird ihnen vom staatlichen Paul-Ehrlich-Institut, dass niemand auf die persönlichen Daten oder die Telefonnummer zugreifen kann.
«Auch für die Schweiz wurde eine solche erweiterte Überwachung diskutiert, konnte aber vor allem aus technischen Gründen für die aktuelle Impfkampagne nicht umgesetzt werden», erklärt Alex Josty, Sprecher der Zulassungsbehörde Swissmedic. Dem Paul-Ehrlich-Institut stand dagegen bereits eine ausgereifte App zur Verfügung, die es 2017 für die Grippeimpfungen in Auftrag gegeben hatte.
Nicht kompatibel mit IT des Bundes
Der Basler Anbieter Docdok hatte Swissmedic Anfang des Jahres eine ähnliche App angeboten. Sie war aber in Bern verworfen worden, weil sie nicht mit den bereits eingesetzten IT-Tools des Bundes kompatibel sei. Docdok-Mitbegründer Yves Nordmann sagt dagegen, dass es überhaupt keine «Erörterung der technischen Integrierbarkeit» gegeben habe. Alle IT-Lösungen von Docdok seien «interoperabel» aufgebaut. Sein Unternehmen hätte deshalb «eine Integration mit den Systemen des BAG in nützlicher Frist» bewerkstelligen können.
Und so gibt es in der Schweiz kein Monitoring für Geimpfte, sie können lediglich vermutete Nebenwirkungen an Swissmedic melden. Immerhin: Die Umsetzung des digitalen Covid-Zertifikats durch das Bundesamt für Informatik hat funktioniert. Aber insgesamt zählt das Schweizer Gesundheitswesen in Sachen Digitalisierung nicht zu den Vorreitern.
«Krankheiten können besser und genauer diagnostiziert und auch präziser behandelt werden.»
Nun hoffen Vertreter des Gesundheitssektors, dass dank der Covid-Pandemie die Digitalisierung auch in der Schweiz einen Schub bekommt. «Wir sehen das grosse Potenzial», sagt Alexander Zimmer vom Zentralvorstand des FMH, dem Berufsverband für Ärztinnen und Ärzte. «Krankheiten können besser und genauer diagnostiziert und auch präziser behandelt werden.»
Auch die Pharmafirmen sehen einen Wandel: Nach der Pandemie werde das Sammeln grosser Patientendatensätze nicht mehr mit so grosser Skepsis betrachtet, sagt Roche-Chef Severin Schwan. Denn Gesundheitsbehörden, Spitäler und Ärztinnen hätten zur Bekämpfung des Coronavirus Patientendaten anonymisiert weitergegeben. Und die Zulassungsbehörden hätten Patientendaten im rollenden Verfahren in Echtzeit geprüft, um Impfstoffe möglichst rasch zu genehmigen. Deshalb fragt Schwan nun: «Warum sollte dies nicht bei lebenswichtigen Krebsmedikamenten auch so sein?»
Pharmaforschung mit Big Data
Schwan zählt seit Jahren zu jenen, die für die Chancen der Digitalisierung für die Erforschung neuer Medikamente werben. Denn Algorithmen können aus grossen Datensätzen neue Erkenntnisse und Zusammenhänge bei bestimmten Krankheiten herauslesen.
«Auch die Rekrutierung von Probanden mit bestimmten Krankheitsformen für klinische Studien ist viel leichter, wenn die Krankheitsgeschichte digital gespeichert ist», sagt Ärzte-Vertreter Zimmer vom FMH. Aber in der Schweiz ist noch nicht einmal das geplante digitale Patientendossier eingeführt. Dies erlaubt zudem nur dem behandelnden Gesundheitspersonal den Zugriff auf ausgewählte Dokumente, wenn Patienten diese freigegeben haben. «In den Schweizer Kliniken und Instituten lagern riesige Datensätze von Patientinnen und Patienten, die standardisiert und digital eingelesen werden könnten», sagt Zimmer.
«Je mehr Daten gesammelt werden, desto besser ist das für die Pharmaforschung», betont Ernst Hafen, Professor für Molekulargenetik an der ETH Zürich. Ein wichtiger Knackpunkt bei der Nutzung von Patientendaten sei aber nach wie vor der Datenschutz. Hafen kritisiert: «Die Frage des Datenschutzes ist quasi ausgehebelt, denn die US-Techfirmen wissen längst mehr über die Gesundheit der Schweizerinnen und Schweizer als ihre Ärztinnen und Ärzte.»
«Die Pandemie hat dazu geführt, dass wir Krankheiten verstärkt als Bedrohung des Kollektivs wahrnehmen. Das rückt neue Datenquellen in den Blick.»
Dominieren in den USA die Konzerne und das kommerzielle Interesse, ist es in China der Überwachungsstaat, der Zugriff auf die Gesundheitsdaten hat. «Die Schweiz und Europa müssen einen dritten Weg finden», sagt Hafen. Dieser sollte dahin gehen, dass die Individuen, nicht Firmen oder der Staat, die Kontrolle über ihre Daten haben.
«Die Pandemie hat dazu geführt, dass wir Krankheiten verstärkt als Bedrohung des Kollektivs wahrnehmen. Das rückt neue Datenquellen in den Blick, um die Kollektivgesundheit sichtbar zu machen», meint Zukunftsforscher Joël Luc Cachelin. Die Frage sei, wer dabei Zugriff auf sie habe und sie zu welchem Zweck nutze.
ETH-Professor Ernst Hafen schlägt deshalb vor, dass nur die Patientinnen das Recht haben, ihre Daten strukturieren und zusammenführen zu lassen und in anonymisierter Form in einer Art Daten-Allmend zugänglich zu machen. «Dann können Forscherinnen oder Ärzte sie für Diagnosen und Auswertungen nutzen, das bringt dann allen etwas.»
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