Der Schlaf braucht auch sein Plätzchen
Wir schlafen immer unregelmässiger und schlechter. Wieso das so ist, zeigt die abwechslungsreiche Ausstellung «Schlaf gut» im Vögele-Kulturzentrum in Pfäffikon.

Langsam und lautlos heben und senken sich die weissen Federn in den Trichtern schwarzer Lautsprecher, als würden sie atmen. Die Töne, welche die Bewegung verursachen, sind für die Besucher nicht hörbar, mit Absicht. Man soll zuerst seine innere Ruhe finden, bevor man in die Welt des Schlafes eintaucht. Das ist bestimmt nicht verkehrt, zumal einen viel Aufwühlendes und Erschreckendes erwartet. Denn die Gesellschaft habe ihre gesunde Beziehung zum Schlaf über die Jahrhunderte hinweg immer mehr verloren, so die Ausstellungsmacherinnen.
Die Wissenschaft zeigt: Wir schlafen immer unregelmässiger, weniger und schlechter. Nicht wenige haben in der Vergangenheit damit geprahlt, wenig zu schlafen, mit verheerenden Folgen – weniger Mitgefühl gegenüber seinen Mitmenschen, Gereiztheit, Halluzinationen, ungesundes Essverhalten. Zum Glück schläft Roger Federer genug, wie viel, das erfährt man auf einer Infografik – fast 12 Stunden täglich.
Doch ein Viertel der Schweizerinnen und Schweizer gibt an, unter Schlafstörungen zu leiden. Der Teufelskreis, an dem man dazu drehen kann, veranschaulicht, was das für Betroffene bedeutet. An Audiostationen hört man Tipps von Forschenden und Berichte aus dem Leben von Menschen, die unter Schlafapnoe leiden oder seit über 20 Jahren in der Nacht arbeiten. Sogleich wendet man sich den daneben aufgehängten Einschlafritualen in Kapselform zu. Die Ausstellung ist optisch abwechslungsreich umgesetzt und interaktiv. Sie zeigt, was wirkt, räumt aber auch mit Mythen auf – Milch mit Honig ist höchstens ein Placebo.
Wie die gute Schlafkultur verloren ging
Auch wer keine Schlafstörung hat, kann viel lernen. Dass sich die Menschen seit Jahrtausenden mit dem Thema auseinandersetzen, zeigt ein historischer Abriss der Schlafkultur im Wandel der Zeit.
In der Steinzeit wurde im Sitzen geschlafen, und zwar auf zwei Phasen verteilt. Richtiggehend zelebriert wurde der Schlaf in der Antike. Im Bett war alles erlaubt, schlafen, feiern, essen, dann wieder schlafen. Das alles öffentlich. Unter Sonnenkönig Louis XIV. wurde das Bett endgültig zum Statussymbol, mit der Industrialisierung konnten sich auch tiefere Schichten endlich eines leisten. Doch beginnt der Schlaf selbst bereits gewaltig zu leiden – das künstliche Licht ist erfunden, Fabrikarbeiter sollten lieber arbeiten als ruhen. Unser Schlaf wird am Anfang des 21. Jahrhunderts durch immer mehr Faktoren gestört – man denke an die vielen Tablets, Smartphones und Laptops, deren grelles Licht vielen vor dem Einschlafen ins Gesicht scheint und sie künstlich wachhält.
Dafür hat der Mensch allerlei erfunden, um der wachsenden Erschöpfung beizukommen – von immer teureren Schlafzimmereinrichtungen über Biodoping bis hin zu Messgeräten. Die Absurdität der Datensammlung, ohne den wahren Kern des Problems zu beheben, zeigt die Künstlerin Susan Morris. Sie hat die Daten ihrer Schlafuhr, die sie drei Jahre am Handgelenk trug, in einen Teppich verwoben.
Das Bild ist unruhig, selbst die Künstlerin hätte nicht genau gewusst, was genau sie aus all den ausschlagenden Linien lesen soll, so die Kuratorinnen. Will heissen: Vielleicht sollte man einfach aufhören damit, alles vermessen zu wollen. Vielleicht sollte man sich einfach mal «lampen» lassen, wie der überdimensional grosse Plüschhase, der im nächsten Raum auf einem weissen Schragen liegt.
Am Wendepunkt steht die Powernapbox
Auch der Besucher selbst kann sich natürlich ein Nickerchen gönnen. Entweder auf der gewellten Liege der Powernapbox oder dem Bett eines Kapselhotels nach japanischem Vorbild. Beides befindet sich in jenem der sieben Teile der Ausstellung, der fragt, ob wir uns nun an einem Wendepunkt befinden, an dem wir dem Schlaf endlich wieder einen angemessenen Platz in der Gesellschaft einräumen.
Wem nach den vielen Fragen und Fakten, mit der die Ausstellung den Besucher wachrüttelt, schwindelig ist, der entflieht in die Traumwelt. Zum Beispiel in jene des französischen Künstlers Virgile Novarina. Er beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit dem Thema Schlaf. Sein Spezialgebiet: Novarina notiert in kurzen Wachphasen Gedankenblitze, die direkt aus dem Tiefschlaf – und nicht etwa aus einer anderen Schlafphase – stammen. Tests im Schlaflabor bestätigten dies und sorgten für verblüffte Wissenschaftler.
Schlafkunst im Schaufenster
Schlafperformances sind ein weiteres Steckenpferd Novarinas. Im Rahmen der Ausstellung schlief er in einem Schaufenster des Seedamm-Centers in Pfäffikon. Gut habe er dort geschlafen, schreibt der Künstler auf Anfrage.
Die zwei Nächte vor der Performance habe er nicht geschlafen. Obwohl er ein Profi ist, fiel das Wachbleiben auch Novarina nicht leicht. Frische Luft und Duschen helfe. Dermassen übermüdet falle ihm danach das Schlafen in der Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr schwer. Zudem benutze er Schlafmaske und Ohrstöpsel.
Seine Aktion stiess auf Interesse. «Ist er echt?», «Schläft er wirklich?», «Wieso ist er so müde» – obwohl er sich das Video seiner Performance noch nicht angesehen hat, hat er sich über die Reaktionen des Publikums umgehört, insbesondere Kinder seien neugierig gewesen. Zu Überraschungen sei es in Pfäffikon nicht gekommen. «In Paris hat sich eine Frau zu mir ins Bett gelegt, und in Marseille wollte ein Randalierer das Schaufenster zerbrechen.»
Doch wieso schläft jemand vor aller Augen? «Normalerweise versteckt man sich, um zu schlafen. Es ist etwas sehr Intimes, und man geht davon aus, dass es nichts zu sehen gibt», so Novarina. Doch gebe es eine grosse Lücke zwischen dem bewegungslosen Anschein des Schlafenden und des Reichtums seiner inneren Erfahrung. Diese Lücke versuche er mit seiner Arbeit zu verkleinern.
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