Das Tummelfeld der Verrückten
BSV Bern Muri versus Wacker Thun ist nicht zuletzt das Aufeinandertreffen von Luca Mühlemann und Reto Friedli, führenden Kreisläufern des Landes. Sie bekleiden die wohl faszinierendste Position im Mannschaftssport.

Fussballer sagen: «Torhüter sind fast alle ein bisschen eigenartig.» Handballer entgegnen: «Kreisläufer sind alle völlig verrückt.»
Kreisläufer teilen aus, im Idealfall ein wenig mehr, als sie einstecken, was eine Menge ist. Ihre Aufgabe ist es, hinzugehen, «wo es wehtut», wie der Thuner Reto Friedli erzählt. Sie positionieren sich ganz vorne im Zentrum, dort, wo die gross gewachsenen, besonders kernig zulangenden Verteidiger des Gegners stehen. Sie schaffen Räume für die Schützen aus dem Rückraum, indem sie ebendiese Widersacher ablenken, notfalls mit Mitteln, welche mit dem Regelwerk eher nicht zu vereinbaren sind. Und natürlich sollen sie dabei selber stets anspielbar sein.
Das Pflichtenheft des Kreisläufers ist umfassend, und vieles, was er tut, registriert der Zuschauer noch nicht mal. Der Kreisläufer ist häufig der Arbeiter unter Künstlern, das Schwergewicht unter Hünen. Die Rolle zieht charismatische Figuren offensichtlich an. Die Wacker-Akteure Friedli und Viktor Glatthard, der BSV-Bern-Muri-Spieler Luca Mühlemann, der Schaffhauser Johan Koch, der Luzerner Daniel Fehlmann und der Winterthurer Marcel Hess – allesamt fallen sie einem gleich auf. Sie sind: laut, gross, massig, manchmal ungestüm, immer maximal entschlossen. Friedli trägt einen Bart, der Kinder an Weihnachten und Jugendliche an Hipster erinnert, schreit in den Katakomben, Glatthard jubelt, wenn er das Feld betritt, und Koch, ausgestattet mit einem tätowierten Arm, gibt gern den bösen Buben. Friedli meint: «Wir benehmen uns manchmal wie Spinnsieche.»
Kreisläufer bewegen sich auf dem Feld an der Grenze des Erlaubten. Naturgemäss. Daneben sind viele von ihnen ausgesprochen harmoniebedürftig. Friedli, einst Mitarbeiter der Pro Infirmis, studiert Soziale Arbeit, Glatthard Psychologie, Stefan Huwyler, ein weiterer Thuner, ist angehender Lehrer, Fehlmann bereits in dieser Funktion tätig. Huwyler sagt, viele Kreisläufer würden sich abseits des Platzes ganz anders verhalten als während eines Spiels, der Sport sei zumindest für ihn eine Abwechslung, ein Ventil dazu, Energie rauszulassen. «Meine Freundin findet, in der trainingsfreien Zeit sei ich teilweise unausstehlich.»
«Bin auch Kampfsportler»
Viele Handballer werden in den Anfängen ihrer Spitzensportkarriere zum Kreisläufer umfunktioniert, die wenigsten haben die Position bereits im Nachwuchs regelmässig belegt. Friedli, Huwyler und Glatthard hatten ihre Laufbahn als Aufbauer begonnen, ihnen wurde jeweils nahegelegt, sich an den Kreis zu bewegen, weil sie a) die Voraussetzungen dazu mitbringen und b) keine allzu guten Perspektiven als Rückraumakteur haben würden. Friedli und Huwyler erzählen, sie hätten sich zunächst nur schwer damit anfreunden können, den Platz zu wechseln. «Als Verteidigungsspezialist halte ich bereits während der Hälfte des Matchs den Kopf hin. Da war die Lust, sich nun auch noch im Angriff in das Getümmel zu stürzen, nicht grenzenlos», sagt Letzterer. «Mittlerweile fühle ich mich aber sehr wohl in dieser Rolle.»
Der Aargauer hält fest, er würde sich auch nach eineinhalb Jahren noch nicht als guten Kreisläufer bezeichnen. Der Findungsprozess sei im Gang, er dauere erfahrungsgemäss zwei Saisons. Die Rollen seien nicht vergleichbar, im Grunde handle es sich um zwei verschiedene Sparten. «Nun bin ich gewissermassen auch Kampfsportler.» Friedli, einer der profiliertesten Kreisspieler hierzulande, erzählt, die Routine sei von hoher Bedeutung, es gelte, die Situationen richtig zu deuten, zu riechen, was geschehen werde.
Mit Masse, Fleiss, Erfahrung und Spielintelligenz lässt sich vorne im Zentrum einiges kompensieren. Friedli sagt, er habe bestimmt auch ein bisschen Talent mitgebracht; ein Hochbegabter sei er aber gewiss nicht gewesen. Den Zuschauern gefällt, was er und seine Kollegen tun: An den Swiss Handball Awards sind bisher stets Kreisläufer zum Publikumsliebling gekürt worden.
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