Das steckt hinter dem Weltmeister-Fluch
Deutschland ist schon der 6. Titelverteidiger, der bereits in der Vorrunde ausscheidet. Wie ist das möglich?

Als «Debakel», «historische Pleite» und «Schmach» bezeichnen die deutschen Medien das Ausscheiden ihres Teams. Sie hatten der DFB-Elf zugetraut, dass sie den Weltmeistertitel in Russland verteidigen kann. Doch jetzt muss die Mannschaft von Coach Jogi Löw schon nach der Vorrunde wieder die Heimreise antreten – als Gruppenletzter und zum ersten Mal überhaupt.
Das frühe Ausscheiden Deutschlands ist überraschend und doch kommt es nicht völlig unerwartet. Einige Probleme begleiteten die Auswahl bereits durch die Vorbereitungszeit, schlechte Leistungen und Testspielresultate, aber auch Anzeichen von mieser Stimmung. Und dann ist da noch der Titelverteidiger-Fluch, der nun auch Deutschland ereilt hat.
Schon sechsmal in der Geschichte der Fussball-WM flog der amtierende Weltmeister bereits in der Gruppenphase raus. Deutschland ist sogar der dritte Titelverteidiger in Folge, dem dieses Malheur passiert.
1950 erwischt es Italien, 1966 Brasilien, 2002 Frankreich, 2010 noch einmal die Italiener, vor vier Jahren Spanien und jetzt also auch Deutschland. Bei den letzten fünf WM-Turnieren war Brasilien 2006 der einzige amtierende Weltmeister, der in die K.-o.-Runde vorstiess und es zumindest in den Viertelfinal schaffte.
Erst zweimal gelang die Titelverteidigung – und das ist lange her: Die Italiener schafften es 1938, die Brasilianer machten es ihnen 24 Jahre später nach. In den meisten anderen Fällen endete das Turnier für den amtierenden Weltmeister mit einer Enttäuschung. Wie ist das zu erklären?
Alt, bequem, überheblich
Vielleicht werden die Titelverteidiger zu bequem – ein Vorwurf, der jetzt auch den Deutschen gemacht wird. Demnach verlässt sich das Team darauf, dass es irgendwie schon wieder gut geht.
Nach dem Gewinn des Weltmeistertitels kann sich zudem eine gewisse Selbstzufriedenheit einschleichen. Da ist es schwierig, die Motivation hochzuhalten und das nächste Turnier mit der richtigen Einstellung anzugehen. Die Leidenschaft fehlt, vielleicht ist man auch ein wenig überheblich. Schliesslich wird man als amtierender Weltmeister stets als Mitfavorit auf den Turniersieg gehandelt.
Das kann aber auch zur Bürde werden. Der Druck, erneut den Pokal holen zu müssen, ist gross. Alles ausser der Titelverteidigung ist nicht gut genug, lautet die Erwartungshaltung im Heimatland. So kann einer Mannschaft auch die Leichtigkeit abgehen, die sie vorher hatte. Wenn das Startspiel verloren geht und sich Unsicherheit breitmacht, ist es ungemein schwierig, den Schalter noch einmal umzulegen.
«Es war eine Selbstherrlichkeit vorhanden, dass man auf Knopfdruck reagieren könne.»
Aber nicht nur die psychische, sondern auch die physische Frische eines Teams wird angeprangert, wenn es früh ausscheidet. Das Spiel der Mannschaft sei zu schwerfällig geworden. Der Bundestrainer habe zu lange auf bewährte Kräfte vertraut, zu starr an seinem System festgehalten, werfen die Medien Löw vor. In der Tat muss sich dieser nun kritische Fragen gefallen lassen. Zum Beispiel, warum er Leroy Sané zu Hause liess, der eine grossartige Saison in England spielte und mehr Tore machte und vorbereitete als jeder andere deutsche Spieler in den Topligen.
Vor einem Jahr gewann ein junges deutsches Team, das so gut wie keinen Weltmeister von 2014 in seinen Reihen hatte, den Confed Cup. Für die WM in Russland hatte Löw immerhin 14 neue Spieler aufgeboten, die vor vier Jahren noch nicht dabei waren. Doch im Startspiel der Deutschen, das sie gegen Mexiko mit 0:1 verloren, standen sechs Weltmeister, die schon den Final 2014 bestritten: Neuer, Boateng, Hummels, Kroos, Müller, Özil.
Der Vorwurf, die verdienten Spieler seien zu satt und zu alt, wurde auch bei anderen Gescheiterten laut. Spanien zum Beispiel trat 2014 fast noch einmal mit der gleichen Mannschaft an, die vier Jahre zuvor den Pokal geholt hatte. Nach einem 1:5 gegen die Niederlande und einer 0:2-Niederlage gegen Chile war die WM bereits nach dem zweiten Spiel beendet.
Die Franzosen, die bei der WM 2002 in Japan und Südkorea als Titelverteidiger antraten, scheiterten noch krachender. Sie holten in einer Gruppe mit Dänemark, Senegal und Uruguay nur einen Punkt, schossen kein einziges Tor und wurden Gruppenletzter.
Es braucht einen Schuldigen
Die Konsequenz des Ausscheidens: Altgediente Spieler verkündeten ihren Rücktritt aus der Nationalmannschaft, andere werden ausgebootet. Irgendjemand muss ja als Sündenbock herhalten. Neben einzelnen Spielern ist das oft der Trainer.
Roger Lemerre, der Trainer der Equipe Tricolore, wurde nach dem unehrenhaften Ausscheiden seiner Mannschaft bei der WM 2002 vom französischen Fussballverband entlassen. Italiens Trainer Marcello Lippi trat acht Jahre später gleich selbst als Nationalcoach zurück. Nur der Spanier Vincence Del Bosque hielt sich – durchaus überraschend – im Amt.
Auch in Deutschland fordern jetzt viele den Rücktritt von Löw. «Ich bin der Erste, der sich hinterfragen muss, welche Dinge schiefgelaufen sind», sagte der Bundestrainer nach dem Ausscheiden. Für eine Entscheidung brauche er aber noch Zeit.
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