China befiehlt den Grosserfolg
Es ist ein kühnes Sportprojekt: China will in drei Jahren an den heimischen Winterspielen glänzen. Dabei verfügt das Land weder über eine Schneesportkultur noch über Topathleten.

Glenn Lindholm ist in seinem rot-weissen Pullover unübersehbar. Damit er aber auch ganz bestimmt mit den Nationalfarben des Landes assoziiert wird, prangert auf seinem Rücken fett der Schriftzug: China. Lindholm, ein Finne aus der schwedischen Minderheit, ist Chinas wichtigster Schneesport-Coach – und Katalysator eines kühnen Traums.
Als chinesische Olympia-Turbos nämlich in sein Büro kamen, wollten sie vom Langlaufspezialisten zwei Dinge wissen: Kannst du Novizen zu Olympiasiegern coachen? Reichen dir dafür vier Jahre, weil wir 2022 die Heimspiele austragen werden?
Obschon Lindholm weder das eine noch das andere versprechen konnte, trainiert der kleine Mann mit dem auffälligen Ohrring nun die grösste Athletengruppe chinesischer Möchtegern-Wintersportler – des zurzeit kühnsten globalen Sportprojekts: Chinesen, die weder über Schneesportkultur noch -topathleten verfügen, bis 2022 an ihren Heimspielen zu Medaillenkandidaten zu formen.
Von null zum Helden
«From zero to hero», also von null zum Helden, nennen die Chinesen ihr Unterfangen. Damit verdeutlichen sie immerhin, von wo sie starten: vom Nullpunkt. Trotzdem bekam Lindholm von Beginn des Projekts an von den chinesischen Funktionären zu hören: «Nur dabei sein reicht uns nicht!» Wobei die Chinesen selbst die Breite garantiert haben wollen.
In allen 109 Wettbewerben gedenken sie in drei Jahren Athleten zu stellen. Das gelang in der olympischen Wintersportgeschichte bloss den Amerikanern 1980 und 2002 – bei allerdings 38 bzw. 78 Wettbewerben.
Nur: Wo die Athleten des selbst proklamierten Giganten des Wintersports hernehmen? Das Land liess flugs Teenager quer durch alle Regionen auf ihr Schneetalent testen. 134 von ihnen hat man Glenn Lindholm nach Vuokatti hoch im Norden von Finnland geschickt. Dort ist Lindholm am Sportinstitut angestellt. Es ist das Magglingen der Finnen.
Dass gerade einmal 20 dieser Gesandten je Schnee gesehen hatten, erleichterte Lindholms Aufgabe ebenso wenig wie ihre Herkunft: Sie stammen mehrheitlich aus dem Rudern. Die chinesischen Selektionäre glaubten, im Langlauf brauche es vor allem austrainierte Oberkörper. An die Beinarbeit dachten sie weniger, was dazu führte, dass sich mancher dieser langlaufenden Ruderer von Vuokatti erst einmal verletzte.

Überhaupt muss Glenn Lindholm lachen, wenn er über die ersten Schneetage seiner Schützlinge spricht. «Nur schon auf den Langlaufski zu stehen, fiel ihnen schwer. Bei einigen von ihnen begann wir nicht einmal bei null – sondern gefühlt klar darunter.» Dass die Chinesen für ihre Auserwählten zugleich das beste Material einforderten, obschon Frischlinge damit überfordert sind, erschwerte die Einführung. «Nur das Beste ist für das Projekt gut genug. Geld spielt keine Rolle», sagt Lindholm.
Er kann auf 14 Coachs zurückgreifen, mehrheitlich Finnen. In sieben Gruppen trainieren sie die Chinesen zwischen 14 und 40 Jahren 2-mal täglich. Der Athletensenior ist ein Liebling der Partei und darum dabei. Dass Vuokatti den ältesten Langlauftunnel der Welt aufweisen kann, half bei der Entscheidung des Standorts. So ist gesichert, dass rund ums Jahr auch auf Schnee gearbeitet werden kann.
Ein Chinesendorf in Vuokatti
Die Herausforderungen beschränken sich nicht auf den Sport. Die kulturellen Differenzen etwa seien gross, sagt Lindholm. Nur schon aus geografischen Gründen. Die Mehrheit seiner Athleten stammt aus der Region um Shanghai. Temperaturen unter null Grad kommen da selten vor. In Vuokatti ist es das halbe Jahr sehr kalt – zudem auch lange dunkel.
Damit sich die Chinesen, die kaum Englisch sprechen und darum Übersetzer dabei haben, ein wenig heimisch fühlen, haben ihnen die Finnen ausserhalb von Vuokatti ein «Chinese Village» mit WGs eingerichtet – samt eigenem Restaurant mit heimischer Küche. Auch Englischkurse erhalten sie. Und Lindholms Frau ist Ansprechpartnerin für alle Sorgen und Sörgelchen.
Jede Woche muss Lindholm einen Rapport erstellen und nach Peking schicken, damit die Funktionäre wissen, wie sich die Athleten entwickeln. Lindholm testet die Fitness seiner Sportler darum regelmässig. In ein paar Wochen dürfen sie kurz heim, danach wird er deutlich weniger von ihnen bei sich haben. Wer zu ihm zurückkehrt, entscheiden die chinesischen Funktionäre.
Dass der Umgang mit ihnen oft anstrengend ist, verhehlt Lindholm zu keiner Sekunde. Er geht gar weiter, indem er sagt: «Wir könnten effizienter arbeiten, wenn man uns nur liesse.» Aber Lindholm hat neben den Athleten auch 15 chinesische Trainer mitgesandt bekommen. Die haben zwar kaum Ahnung vom Langlauf, reden jedoch mit und gerne drein.
«Ständig wollen sie Abkürzungen, was nun einmal unmöglich ist. Denn man entwickelt sich nicht innert weniger Monate zum Topathleten», weiss Lindholm. Von sich aus sagt er darum: «Wir haben den Chinesen ab Projektbeginn klargemacht: Dopen geht bei uns nicht. Es geht schliesslich um unseren Ruf.» Für ihn ist darum klar, dass er zufrieden sein wird, wenn sich bis 2022 aus seiner Gruppe ein Top-20-Athlet bzw. eine Top-20-Athletin entwickelt. Zurzeit ist sein Bester auf dem Niveau knapp unter Weltcup-Stufe.
Um den internen Wettbewerb zu steigern und Klumpenrisiken zu vermeiden, haben die Chinesen in 15 Ländern mit Wintersportkultur ihre Athleten stationiert, bevorzugt an Sportinstituten, nirgends aber mehr als in Vuokatti. Die Schweiz zählt mit Magglingen dazu. Sie hat Eishockeyaner aufgenommen, die sich mit Projektkollegen aus Finnland oder Russland messen werden.
Der Staatschef gibt vor
Wo mehrere Zellen fehlen, haben die Chinesen zumindest das beste Personal zu engagieren versucht. So bilden Olympiasieger aus dem Ausland etwa Biathleten, Snowboarder oder Bobpiloten aus. 80 ausländische Coachs sollen zum geplanten chinesischen Wintersportwunder beitragen. Schliesslich kommt der Befehl von ganz oben: von Staatschef Xi Jinping.
Wie viele Milliarden die Chinesen in ihren Olympiatraum fliessen lassen, ist unbekannt. Was man weiss: Sie locken Trainer, Physiotherapeuten oder Sportwissenschaftler mit Monatseinkommen von bis zu 10'000 Dollar – mit Beträgen, wie sie in vielen Ländern nie in diesen Branchen gezahlt werden.
Da nehmen diese Legionäre auch den einen oder anderen Rückschlag hin. Als sich der Österreicher Heinz Kuttin, der sich um die Skispringerinnen kümmert, an der WM mit seinem Staff einquartierte, fehlten seine Athletinnen. Sie waren aus ihm unbekannten Gründen gar nicht angereist.
Solche Probleme kennt Glenn Lindholm nicht. Er hat seine Eleven schliesslich um sich. Trotzdem sagt er: «Die Athleten sind toll und leicht zu führen. Bei den Funktionären aber weiss man nie, was sie als Nächstes vorhaben oder einfordern.»
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