Die Einbindung Chinas in den Welthandel hat die Demokratie im Land kaum gefördert. Das zeigt, dass Handel Gesellschaften nicht besänftigt.
Von Markus Diem Meier (publiziert am Tue, 03 Dec 2019 04:00:59 +0000)
Handel schafft offenere Gesellschaften, Demokratie und wirtschaftlichen Fortschritt: Solche Argumente gibt es bereits seit Jahrhunderten. Schon der Aufklärungsphilosoph Montesquieu schrieb 1748 in seinem Werk «Der Geist der Gesetze»: «Es ist fast eine allgemeine Regel, dass überall dort, wo die Wege des Menschen sanft sind, es Handel gibt, und wo es Handel gibt, sind auch die Wege der Menschen sanft. Der Handel poliert und mildert barbarisches Verhalten.»
Die Idee dahinter: Wenn Menschen grenzübergreifend Handel miteinander treiben, profitieren die Länder nicht nur wirtschaftlich davon, sie lassen sich deshalb auch auf gemeinsame Regeln ein, verstehen sich besser, kommen sich näher und lernen voneinander. Solche Überlegungen standen unter anderem hinter der Gründung der Europäischen Union. Auch die Eingliederung Chinas in die Welthandelsorganisation WTO wurde mit diesem Ansinnen verkauft.
Im Jahr 2001, mehr als ein Jahrzehnt nach dem Massaker an Studenten auf dem Platz des himmlischen Friedens (Tiananmen-Platz), kam es zum Beitritt Chinas in die WTO. Die Studenten demonstrierten im Sommer 1989 für mehr Demokratie. Den Weg für den WTO-Beitritt ebneten vor allem die USA. Die Argumente des damaligen Präsidenten Bill Clinton erinnern stark an Montesquieus sanft machenden Handel: «Die WTO-Mitgliedschaft ist für sich betrachtet keine Menschenrechtspolitik», sagte Clinton damals, «aber es ist zu erwarten, dass sie einen tief greifenden Einfluss auf die Menschenrechte und die politische Freiheit haben wird».
Doch Clinton – und Montesquieu – lagen falsch. Nicht nur die Auseinandersetzungen in Hongkong und die Internierung von mehr als einer Million Uiguren machen deutlich, wie wenig die Einbindung Chinas in den Welthandel die Menschenrechte, die Freiheit und die Demokratie dort gefördert haben. Selbst die wirtschaftliche Öffnung ist mittlerweile auf dem Rückzug.
Dafür ist Chinas Beitritt zur WTO allerdings auch nicht verantwortlich. Viele Freihandels-Protagonisten hatten vermutlich ohnehin nicht in erster Linie einen politischen und kulturellen Wandel im Sinn. Sie witterten vielmehr ein grosses Geschäft mit China. Daran ist an sich nichts Verwerfliches. Doch für das Argument, dass der Freihandel die Menschen und Gesellschaften «besänftigt», fehlt genauso die Grundlage, wie für den Glauben, dass die Gesellschaften über die Zeit automatisch immer offener, freier, gerechter und demokratischer werden.
Der Beitrag China widerlegt Montesquieu erschien zuerst auf Never Mind the Markets.
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