Wie Ghadhafi die Welt an der Nase herumführt
Der Krieg in Libyen ist auch eine Propagandaschlacht. Zwei Episoden lassen erahnen, wie absurd es dabei unter dem Regime Muammar al-Ghadhafis manchmal zugeht.

Klammheimlich wurde der Zettel einem ausländischen Reporter bei einem Besuch des Zentralspitals von Tripolis zugespielt. «Dieser Fall ist ein Verkehrsunfall», stand da. «Das ist die Wahrheit.» Die offizielle Darstellung, das vorgeführte Mädchen sei bei einem Nato-Angriff verletzt worden, sei schlicht gelogen.
Die konspirative Szene aus dem Spital zeigt, wie absurd es bei der Berichterstattung über die Lage in Libyen unter dem Regime Muammar al-Ghadhafis manchmal zugeht. Offensichtlich werden von amtlicher Seite Ausmass und Opfer der Nato-Luftangriffe übertrieben dargestellt, mit denen das Bündnis seit zwei Monaten auf Schaltstellen der Macht zielt.
Dabei werden Zivilpersonen getötet oder verletzt, Wohngebäude, Spitäler und Strassen beschädigt. Doch manche Regierungsvertreter scheinen – verständlicherweise – darauf aus zu sein, die Folgen zu übertreiben und die Behauptung zu untermauern, die Zivilbevölkerung habe unter den Angriffen zu leiden.
Groteske am Krankenbett
Das Kleinkind im Spital der libyschen Hauptstadt lag auf einer Liege, mit Schläuchen am Körper und verbundenem Fuss. Das Mädchen mit Namen Hanin sei am frühen Sonntagmorgen bei einem Nato-Angriff auf ein Ziel in der Nähe seines Zuhauses am Stadtrand von Tripolis verletzt worden, hiess es. Ein libyscher Offizieller stellte einen Mann als Nachbarn des Kindes vor, liess ihn mit den Reportern sprechen und stiess ihn dabei an, die Nato zu verurteilen. Dann wurde eine Frau als Mutter des Kindes vorgestellt und neben dem Bett positioniert. Fotoreporter machten Aufnahmen.
Da liess ein Mitglied des Pflegepersonals unauffällig den Zettel fallen. Ein Reporter verbarg ihn unter der Sohle und warf erst später einen Blick darauf, als die Vertreter der Staatsmacht gerade nicht hinsahen. Die Journalisten verständigten sich darauf, den Zettel nicht zu fotografieren und weder das Geschlecht noch die genaue Funktion der Gewährsperson preiszugeben, um niemanden zu gefährden.
Gehört Russland plötzlich zur Nato?
Stunden später wurde die Presse zu einem anderen Ort gebracht, wo offiziellen Angaben zufolge die Nato einen Bauernhof am Rand von Tripolis angegriffen haben sollte. Zwischen Palmen und Olivenbäumen lag da ein rostiger Blindgänger. Er habe mit seiner Familie im Garten gesessen, als die Bombe am Sonntagabend gelandet sei, schilderte der Landwirt Mohammed al-Nadscheh das Vorgefallene.
«Die Frauen rannten schreiend davon, und die Kinder warfen sich zu Boden», berichtete der 50-Jährige. Sein kleiner Sohn nickte ernst und umklammerte dabei eine grosse grüne Flagge – das Kennzeichen des Ghadhafi-Regimes.
Allerdings waren auf der Rückseite des Geschosses offensichtlich kyrillische Buchstaben zu erkennen. Nun ist Russland natürlich kein Nato-Land, wohl aber ein früherer Waffenlieferant Libyens. Auf Nachfragen zu den russischen Schriftzeichen bekamen die Journalisten eine andere Darstellung des Geschehens zu hören. «Bei dem Nato-Angriff wurde ein Munitionsdepot ungefähr einen Kilometer von hier getroffen», sagte ein Mann. «Die Geschosse flogen in die Luft, und eines davon landete hier.»
Farce mit immergleichen Darstellern
Es war derselbe Mann, der Stunden zuvor als Nachbar des verletzten Mädchens im Spital präsentiert worden war. Auf beharrliches Nachfragen stellte er sich als Regierungsmitarbeiter namens Emad Ghaith vor. Der stellvertretende libysche Aussenminister Chaled Kaim beteuerte, es sei nicht die Politik der Regierung, Geschichten für die Auslandsmedien zu erfinden. «Die Aussagen der Regierung sind glaubwürdig. Wenn ein Fehler passiert, dann stammt er sicher nicht aus amtlicher Quelle», sagte er bei einem Medien-Briefing in einem ausgebombten Gebäude.
Möglicherweise übertrieben die Bürger, die demonstrieren wollten, wie sehr sie unter den Angriffen litten. «Das stammt von Leuten, die aufgewühlt sind. Sie wollen den Journalisten zeigen, dass Unrecht geschieht und dass Zivilisten angegriffen werden.»
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