Berlusconis Albtraum
Im Ruby-Prozess fordert Staatsanwältin Ilda Boccassini eine sechsjährige Haftstrafe für Silvio Berlusconi. Sie ist nicht zum ersten Mal die Gegenspielerin des Cavaliere, der ihr Hass und Lügen vorwirft.
Italiens früherer Ministerpräsident Silvio Berlusconi reagiert scharf auf den gestrigen Auftritt der Mailänder Staatsanwältin Ilda Boccassini im Ruby-Prozess. Ihr Plädoyer sei «voller Lügen, die von Vorurteilen und Hass gegen mich inspiriert sind», heisst es in einer Medienmitteilung des Cavaliere. Die Vorwürfe seien «lächerlich». Man wolle ihn eliminieren, klagt Berlusconi. «Diese Justiz erlaubt sich alles – armes Italien.»
Dass Berlusconi über die «kommunistische Justiz» in Italien lamentiert, gehört zu jedem Straf- und Gerichtsverfahren, in das er verwickelt ist. Und wenn der 76-Jährige die Mär von den «roten Roben» bemüht, dann meint er auch Staatsanwältin Boccassini, die nicht zum ersten Mal seine Gegenspielerin in einem Prozess ist.
Von Abneigung geprägte Bekanntschaft seit 20 Jahren
So vertrat Boccassini die Anklage im Korruptionsprozess gegen Berlusconis britischen Anwalt David Mills. Berlusconi entkam dank der Verjährung einer Strafe wegen Bestechung. Die von gegenseitiger Abneigung geprägte Bekanntschaft zwischen Boccassini und Berlusconi reicht 20 Jahre zurück. In Ermittlungen von Boccassini tauchte immer wieder Berlusconi auf, bisher konnte er sich persönlichen Verurteilungen entziehen. Boccassini ist längst zu Berlusconis Albtraum geworden.
Die Chefanklägerin im Ruby-Prozess wird in den Medien gerne «Ilda la Rossa» genannt, «die rote Hilde». Diesen Übernamen trägt sie eigentlich wegen ihrer feuerroten Haare. Aber auch, wie die politische Rechte behauptet, wegen ihrer angeblichen politischen Gesinnung. Im Berlusconi-Lager wird «die rote Hilde» nicht nur angefeindet, sie ist auch gefürchtet. Boccassini, 63 Jahre alt und Mutter von zwei Kindern, ist eine der hartnäckigsten und erfolgreichsten Staatsanwältinnen Italiens.
Kampf gegen Mafiosi und korrupte Politiker
Die aus Neapel stammende Frau, die mit dem Gesetzbuch in der Wiege geboren wurde, wie sie einst sagte, weil sie die Tochter und Enkelin von Richtern ist, begann ihre Karriere als Staatsanwältin mit dem Kampf gegen die Mafia. Nachdem ein prominenter Mitstreiter, der sizilianische Mafiajäger Giovanni Falcone, im Mai 1992 bei einem Autobombenanschlag ermordet worden war, liess sich Boccassini nach Sizilien versetzen. Ein paar Jahre später sassen 50 Mafiosi auf der Anklagebank, darunter die Auftraggeber des Mordes an Falcone. Sie war dabei, als der «Boss der Bosse», Toto Riina, abgeurteilt wurde. In den Neunzigerjahren war Boccassini zudem an der Operation Mani Pulite beteiligt, die Korruption, Amtsmissbrauch und illegale Parteienfinanzierung aufdeckte und das Ende der Ersten Republik Italiens herbeiführte.
Boccassini gibt keine Interviews, und sie geht nicht in Talkshows. Aber sie wird aktiv, wenn sie von Berlusconi-Medien verunglimpft wird. Beispielsweise wurde «Il Giornale» unlängst dazu verurteilt, ihr einen Schadenersatz in der Höhe von 100'000 Euro zu zahlen. Das Berlusconi-Blatt hatte behauptet, dass Boccassini Berlusconi aus politischen und ideologischen Gründen verfolge und das Land umkrempeln wolle. Trotzdem: Auch rund um den Ruby-Prozess verzichtet «Il Giornale» nicht auf Verunglimpfungen. Boccassini sei eine Feindin der Frauen, heisst es in der heutigen Ausgabe. Weil sie die weiblichen Gäste der Bunga-Bunga-Partys als Prostituierte bezeichnet habe.
Engagiert in der Sache und hart im Ton
Als Chefanklägerin ist Boccassini im Ruby-Prozess eine zentrale Figur. Und bei ihrem gestrigen Auftritt vor der Mailänder Justiz ist sie ihrem Ruf gerecht geworden. Engagiert in der Sache und hart im Ton demontierte sie die bisherigen Erzählungen von Berlusconi über seine berühmt-berüchtigten Feste mit jungen Frauen in der Villa Arcore bei Mailand. Gemäss dem Antrag von Boccassini soll der Ex-Premier wegen Sex mit einer Minderjährigen und Amtsmissbrauchs mit sechs Jahren Haft bestraft werden und nie mehr ein öffentliches Amt bekleiden dürfen.
Staatsanwältin Boccassini liess keinen Zweifel daran, dass sie Berlusconi für schuldig hält. In seiner Villa Arcore habe es «systematische Prostitution» gegeben, erklärte sie. Berlusconi habe auch sehr wohl gewusst, dass seine Sex-Partnerin Karima El Marhoug alias Ruby Rubacuore («Herzensbrecherin») zu dem Zeitpunkt noch minderjährig gewesen sei. Laut Boccassini ist auch klar, dass sich Ruby prostituiert habe. Berlusconi und die damals 17-Jährige bestreiten, eine sexuelle Beziehung unterhalten zu haben.
Urteilseröffnung voraussichtlich am 24. Juni
Das Plädoyer der Verteidigung von Berlusconi ist am 3. Juni geplant. Mit einem Urteil in dem seit April 2011 laufenden Verfahren ist am 24. Juni zu rechnen. Im Falle eines Schuldspruches kann der frühere Ministerpräsident zweimal in Berufung gehen. Erst nach der dritten Instanz, dem Kassationsgericht, wird das Urteil rechtskräftig.
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