Als Poulet noch eine Kostbarkeit war
In den frühen 50er-Jahren war Weihnachten für mich als Kind eine wunderbare Sache, denn dann bereitete Mutter ein Huhn aus dem Ofen zu.

Ein Poulet leistete man sich damals nur an Feiertagen. Wir kauften die Delikatesse jeweils auf dem Markt. Schon das war ein besonderes Erlebnis. Mutter wanderte mit mir von Stand zu Stand, um das beste Huhn zu finden. Schaudernd und fasziniert betrachtete ich die toten Federviecher, die gerupft auf dem Rücken lagen. Die Köpfe mit den blassrosa Kämmen waren ebenso gruselig wie die halb geschlossenen Augen und Schnäbel. Damals war in einem Huhn noch alles drin, das man heute separat kaufen muss: Herz, Magen, Leber. Das Huhn wurde in eine alte Zeitung gewickelt und im Einkaufskorb versorgt. Zu Hause wurde es über einer Kerze geflämmt und mit Wasser gereinigt, auf dass kein Federchen mehr daran klebte. Am Ende würzte meine Mutter das Tier mit Salz, Pfeffer und Rosmarin und stopfte Hals, Magen, Herz und Leber in den Bauch des Huhns. Dann nähte sie es mit einer Wollnadel und Sternlifaden zu. Schliesslich schob sie die Kostbarkeit in den Ofen und begoss sie fleissig mit Bouillon. Noch heute, wenn ich Poulet zubereite, erinnert mich der Duft an Weihnachten in meiner Kindheit. Das Zerlegen mit dem versilberten Tranchierbesteck war Vater vorbehalten. Er zelebrierte das mit viel Brimborium. Selbstverständlich waren die dicken Schenkel für ihn und Mutter reserviert. Wir Kinder teilten die Flügel, den Hals und die Innereien. Der Rest des Huhns wurde anderntags kalt zu Salat serviert. An Ostern kochte Mutter Kaninchenaber das ist eine andere Geschichte. Barbara Freudiger, Bremgarten
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