Alle gegen einen
TV-Anhörungen, Star-Zeugen, Sonderermittler, medialer Overkill: Sie sind die Schmierstoffe für die Washingtoner Maschinerie des Präsidentschaftsskandals.

Die amerikanische Öffentlichkeit mag bislang gähnen und sich nicht weiter um die unheilige Dreifaltigkeit der vermeintlichen oder wirklichen Obama-Skandale scheren. In der hermetischen Selbstbezogenheit Washingtons aber ist bereits die Stunde der Intriganten und Komödianten angebrochen. Diverse Medien servieren täglich angebliche Knüller, indes republikanischen Politicos wilde Spekulationen von den Lippen tropfen. Die Steuerbehörde IRS, die konservativen Tea-Party-Gruppen widerrechtlich das Leben schwer machte, habe «schriftlich» verfügt, gegen Barack Obamas Widersacher vorzugehen, sagte der republikanische Senator Rand Paul am Sonntag in einem TV-Interview. Nach der Quelle seiner Behauptung befragt, antwortete Paul, er habe entsprechende «Berichte» gehört.
Es gibt keine derartigen «Berichte», doch ist ihre Erfindung ein integraler Bestandteil der aufregendsten Polit-Show, welche die Welt zu bieten hat: den Washingtoner Präsidentschaftsskandal nämlich, wie ihn seit Richard Nixon zu Beginn der Siebzigerjahre nahezu jeder Präsident verursacht oder erlebt hat. Barack Obama versinkt derzeit gleich in drei Skandalen: dem offensichtlichen Fehlverhalten der Steuerbehörde, dem angeblichen Vertuschungsversuch nach dem Terrorangriff auf den diplomatischen Aussenposten im libyschen Benghazi im September 2012 sowie der fragwürdigen staatlichen Observierung der Telefonanschlüsse bei der Nachrichtenagentur AP im Mai 2012.
Ein ziemlich klares Drehbuch
Schon erteilen die Medien dem bedrängten Präsidenten Ratschläge, wie er der drohenden Demontage entfliehen könne: «Fünf Wege, wie Obama das Vertrauen der Öffentlichkeit wiederherstellen und seine Präsidentschaft retten kann», titelt beispielsweise das «National Journal». Dabei ist nicht einmal klar, ob die Obama-Probleme wirklich zu einem Skandal reifen werden und der Präsident seine Präsidentschaft «retten» muss. Schliesslich folgen Washingtoner Präsidentschaftsskandale einem ziemlich klaren Drehbuch, worin unter anderem verlangt wird, dass der Mann im Weissen Haus auf irgendeine Weise höchstpersönlich in den Skandal verwickelt sein muss. Wie Nixon, der auf den Watergate-Tonbändern für alle hörbar fluchte und seinen politischen Feinden ans Leder wollte.
Der Vorsitzende des Republikanischen Nationalkomitees, Reince Priebus, mag Obama beschuldigen, einer politischen Kultur des «Guerillakriegs» zu frönen, der amerikanische Normalverbraucher des Politischen kann damit freilich nichts anfangen: Solange keine Spur ins Weisse Haus führt, bleibt jeder Washingtoner Skandal eine zweitrangige Angelegenheit. Sind der Präsident oder seine Familie allerdings mit einem Skandal in Verbindung gebracht worden, wird es sogar dann brenzlig, wenn sich der Skandal wie die angeblichen Whitewater-Verfehlungen von Bill und Hillary Clinton als weitgehend erfunden erweist.
Lewinsky machte es möglich
Über Jahre versuchten manche Medien sowie die republikanische Opposition im Kongress dem Präsidenten und der First Lady allerlei wüste Verstrickungen in einen Immobiliendeal im Hinterland von Arkansas anzuhängen, obwohl die Fakten eindeutig dagegensprachen. Interessant wurde es erst, nachdem Bill Clinton 1998 mit Monica Lewinsky erwischt worden war. Nun hatte Washington seinen Skandal.
Zu einem politisch verwertbaren Skandal braucht es neben der Spur ins Weisse Haus in einem nächsten Schritt einen Sonderermittler wie 1973 bei Watergate oder 1986 bei Ronald Reagans Iran/Contra-Skandal. Damals waren widerrechtlich Raketen an den Iran geliefert und mit den Erlösen – gleichfalls widerrechtlich – die nicaraguanischen Contras alimentiert worden. Soll der Skandal voll erblühen, benötigt es neben Indiskretionen aus dem Stab des Sonderermittlers, durch die den Medien nahezu täglich Sauerstoff zugeführt wird, vor allem live im Fernsehen übertragene Anhörungen eines Sonderausschusses im Kongress.
Die besseren Skandalarchitekten
Es hilft, wenn im Zuge dieser Anhörungen ein sensationeller Zeuge erscheint: Nixons Rechtsbeistand John Dean, der seinen Boss vor der versammelten TV-Nation schwer belastete, oder der mit Orden behängte und im Habitus des Helden auftretende Oberstleutnant Oliver North beim Iran/Contra-Palaver. Sind andererseits die Skandale eher amorph, wie etwa George W. Bushs Lügengebäude zur Intervention im Irak 2003, können sie medial kaum verwertet werden. Zumal viele US-Medien an Bushs Lügengebäude bekanntlich kräftig mitgebaut hatten.
Insgesamt sind die Republikaner seit Watergate bessere Skandalarchitekten als die Demokraten. Das Washingtoner Pressekorps, schreibt der ehemalige republikanische Kongressmitarbeiter Mike Lofgren in einer scharfen Abrechnung mit seiner früheren Partei, sei zunehmend bereit, «der republikanischen Definition eines Skandals zu folgen». Falls diese Einschätzung zutrifft, stehen Barack Obama schwere Monate ins Weisse Haus, auch wenn sich seine Skandale schliesslich in Luft auflösten. Führen andererseits Spuren in Obamas Weisses Haus, wird die Washingtoner Maschinerie des Skandals mit Getöse anspringen: Sonderermittler, TV-Anhörungen und Star-Zeugen unterhielten die Amerikaner dann glänzend, derweil die Regierungsgeschäfte brachlägen.
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