Die letzte Boeing 747Adieu, Königin der Lüfte!
«Wir sind Jumbo geflogen» – das galt lange als Höhepunkt familiärer Ferienerzählungen. Mit der 747 revolutionierte Boeing das Fliegen. Der Jumbo machte Reisen in ferne Länder für viele bezahlbar.

Kann ein Welterfolg mit einer spektakulären Fehleinschätzung beginnen? Beim Flugzeugbauer Boeing sah es lange danach aus, aber am Ende behielten die Konzernstrategen, wenn man gnädig urteilt, doch noch irgendwie recht. Ihre Boeing 747, so hatten sie in den 60er-Jahren vorausgesagt, werde vor allem als Frachtmaschine erfolgreich sein – und nun, am Ende dieser Geschichte, scheint das sogar zu stimmen.
Wenn heute Dienstag Ortszeit die zuallerletzt gebaute Boeing 747 ausgeliefert wird – das 1574. Exemplar dieser Spezies –, dann ist der Abnehmer, die amerikanische Atlas Air, tatsächlich eine der grossen Cargo-Fluglinien. Seit Jahren wird der legendäre Flieger nur noch in der Frachtversion produziert.



In Wahrheit aber lagen die Boeing-Planer damals voll daneben. Denn zwischen Anfang und Produktionsende der 747 liegt eine Ära, die mit Containern eher wenig zu tun hat. Aber sehr viel mit reisehungrigen Menschen und mit unerschütterlichem Fortschrittsglauben.
Weltweit wurde die 747 zu einer Ikone, zur Königin der Lüfte, zum Symbol für die grenzenlosen Möglichkeiten der Technik. Kaum tauchte am Himmel ein Jet mit dem prägnantem Buckel über dem Cockpit auf, starrten Kinder und Erwachsene gebannt nach oben. «Wir sind Jumbo geflogen» – das galt lange als Höhepunkt familiärer Ferienerzählungen. Sogar Space Shuttles der Nasa konnte die 747 huckepack transportieren. Und bis heute setzt der majestätische Flieger politisch ein Zeichen: In der Air Force One demonstrieren US-Präsidenten ihren Status als Anführer einer Weltmacht.
Der Luftverkehr als Massenphänomen
Mit der visionären Entscheidung, ein so grosses Flugzeug zu bauen, hat Boeing nicht nur die Luftfahrtindustrie revolutioniert. Von Beginn der 70er-Jahre an machte der Konzern den Luftverkehr auch zum Massenphänomen. Über lange Distanzen zu fliegen war nicht länger ein Privileg der Reichen, sondern etwas, das sich auch immer mehr Menschen aus der Mittelschicht leisten konnten. Gefühlt schrumpfte die Erde plötzlich zusammen. Damit entstand die Grundlage für das, was später Globalisierung genannt wurde.
Und nachdem die Entwicklungskosten der 747 die US-Firma Boeing zunächst selbst an den Rand des Ruins gebracht hatten, war die Maschine später, neben der 737, der Garant für den Aufstieg des Konzerns zum langjährigen Weltmarktführer.

Doch die 747 hätte es mutmasslich nie gegeben, wenn die damals führende amerikanische Fluggesellschaft Pan American Airways nicht von einem waghalsigen Mann wie Juan Trippe geführt worden wäre. Pan Am suchte Mitte der 60er-Jahre ein neues Langstreckenflugzeug, das die Boeing 707 ersetzen könnte. Trippe wollte nicht irgendeine Weiterentwicklung eines existierenden Modells, die vielleicht ein bisschen grösser wäre. Er verlangte etwas richtig Grosses: Rund 400 Passagiere sollte so ein Jet befördern können, zweieinhalb mal so viele wie die bis dato üblichen Maschinen. Zum Vergleich: Jahrzehnte später wurde Airbus für die letztlich desaströse Entscheidung gefeiert, mit der A380 ein Flugzeug zu bauen, das etwa ein Drittel grösser war als der Jumbojet.
Die Stückkosten der 747, so Trippes Kalkül, würden deutlich sinken – mehr Passagiere könnten günstiger transportiert werden. Und es ging ihm nicht nur um Grösse: Um den Gästen der First Class etwas Besonderes bieten zu können, sollte vorne in der Nase der 747 ein vogelschlagsicheres Fenster eingebaut werden. Trippe liess von der Idee erst ab, nachdem ihm die Boeing-Ingenieure erklärt hatten, was das Extra wiegen würde, nämlich fast eine halbe Tonne.

Boeing begann, dem Pan-Am-Chef Entwürfe zu präsentieren. Diskutiert wurden Hunderte Varianten. Die Airline drängte anfangs darauf, die 747 müsse ein richtiger Doppeldecker werden. Aber nur so lange, bis Boeing eine Holzattrappe baute und Trippe ins Oberdeck steigen konnte. Von hier oben hätten knapp 200 Passagiere in die Notrutschen springen müssen. Der offenbar nicht ganz schwindelfreie Trippe liess sich dann doch von dem Entwurf mit einem riesigen Hauptdeck und dem kleinen Buckel überzeugen, in dem das Cockpit und in den Anfangszeiten eine Bar untergebracht waren. 1965 präsentierte Boeing-Chef Bill Allen die Pläne dem künftigen Erstkunden im New Yorker Pan Am Building. «Wenn Sie das bauen, kaufe ich es», sagte Trippe. «Wenn Sie das kaufen, baue ich es», antwortete Allen.
Offiziell startete Boeing die Entwicklungsarbeiten an der nun definierten 747 im Jahr 1966, rund vier Jahre später schon konnte Pan Am die erste Maschine übernehmen. Heute dauern solche Projekte mindestens doppelt so lang. Für die Luft- und Raumfahrt waren das aus heutiger Sicht schwer vorstellbare Zeiten. Der Mensch landete auf dem Mond. In Europa tat sich das Airbus-Konsortium zusammen und entwickelte sein erstes Flugzeug, die A300. Douglas entschied sich, die DC-10 zu bauen, Lockheed die L1011 – das Zeitalter der Grossraumflugzeuge begann. Auch deswegen, weil Pratt & Whitney, General Electric und Rolls-Royce Motoren entwickelten, die gross genug waren, um solche riesigen Maschinen in die Luft zu bringen.


Mehr als einmal stand das 747-Programm schon vor dem Erstflug auf der Kippe, technologisch und finanziell. Die Flügel mussten verändert werden, um die Lasten besser zu verteilen. Das zunächst konstruierte Fahrwerk stellte sich als untauglich heraus und wurde durch ein schwenkbares ersetzt. Eines Tages bestellte der Vorstand den legendären Chefingenieur Joe Sutter zum Rapport, dem Konzern drohte bald die Pleite, angesichts ausufernder Entwicklungskosten für die 747. Sutter solle, so sagte man ihm, 1000 seiner 3000 Ingenieure feuern, um Kosten zu sparen. Doch statt zuzustimmen, forderte Sutter 800 zusätzliche Stellen, um die Arbeiten zu beschleunigen.
Der vom Vorstand ersehnte Erstflugtermin – der 65. Geburtstag des ersten Motorfluges der Gebrüder Wright am 17. Dezember 1968 – war dennoch nicht zu halten. Am 9. Februar 1969 rollten die Testpiloten Jack Waddell, Brien Wygle und Jess Wallick zur Startbahn. Sie flogen 75 Minuten lang, deutlich kürzer als geplant, eine Landeklappe und das Fahrwerk machten Probleme. Am Abend wurde dennoch ausgiebig gefeiert. Es schien, als sei das Schlimmste überstanden.
Die neue 747 flog direkt in die Rezession der frühen 1970er-Jahre.
Dem war nicht so. Die meisten technischen Herausforderungen waren zwar einigermassen gelöst, allerdings bereiteten die eilig entwickelten Motoren von Pratt & Whitney noch jahrelang Schwierigkeiten. Zeitweise parkten mehr als 30 Maschinen des Typs 747 ohne Motoren auf dem Vorfeld des Werksflughafens Everett und verschlimmerten Boeings finanzielle Lage. Dort, wo die Triebwerke hätten angebracht werden sollen, hingen Betonblöcke, sonst wären die Jets nach hinten gekippt.
Und als die Pan Am Clipper Young America am 17. Januar 1970 am John-F.-Kennedy-Flughafen von New York zur Startbahn rollte, um den ersten kommerziellen Flug nach London anzutreten, leuchtete eine Warnlampe auf, ein Motor war überhitzt. Pan Am hatte vorgesorgt: Mit mehrstündiger Verspätung startete die Ersatzmaschine Clipper Victor mit den Ehrengästen.

Viel schlimmer aber war, dass die neue 747 und mit ihr Boeing direkt in die Rezession der frühen 1970er-Jahre hineinflog. Die Airlines hatten zwar 160 Maschinen fest bestellt, doch angesichts des einbrechenden Langstreckenverkehrs brauchte für eine Weile niemand mehr neue Flugzeuge, geschweige denn derart grosse. Bestellungen gingen kaum mehr ein.
Langfristig war die Rezession des Jahres 1970 allerdings für die 747 enorm positiv, ohne dass dies jemand zu der Zeit ahnen konnte. In der Euphorie der 60er-Jahre war der 747, obwohl sie aus heutiger Sicht in so vieler Hinsicht ein riesiges Wagnis war, im künftigen Luftverkehr lediglich eine Nebenrolle zugewiesen. Sie würde nur für ein paar Jahre, so glaubten viele, im Passagierverkehr eine Rolle spielen, doch längerfristig würden Überschalljets wie die Concorde oder die damals geplante Boeing 2707 (oder die sowjetische Tupolew Tu-144) die dominanten Flugzeuge auf den interkontinentalen Strecken werden. Die 747 würde nur als Frachter wichtig bleiben.
Im März 1971 änderte sich alles. Der amerikanische Kongress entschied, keine weiteren Entwicklungszuschüsse für die geplante 2707 zu zahlen. Die 747 war plötzlich nicht mehr eine Art Übergangsflieger, sondern rückte ins Zentrum und sollte dort mehrere Jahrzehnte lang bleiben. Die Concorde, technologisch ein Wunderwerk ihrer Zeit, flog zwar im Linienverkehr, wurde aber wirtschaftlich zum Desaster.
Kaum war klar, dass Boeing kein Überschallflugzeug bauen und dass die Wirtschaftskrise überwunden würde, zog die Nachfrage nach der 747 an. Die australische Qantas, Swissair, Lufthansa und andere Fluggesellschaften bestellten. Nun endet diese Ära.


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